Bergen-Enkheim gedenkt den Opfern des Nationalsozialismus 33 Kerzen und eine mutige Frau

Rabbiner Andrew Steiman erzählt von jüdisch-christlichen Freundschaften. Foto: Faure

Bergen-Enkheim (jf) - Auf dem kleinen Hof des Kinder- und Familienhauses der Evangelischen Kirchengemeinde brannten in Form eines Davidsterns 33 Kerzen. Auf jeder war ein Name zu lesen. Die Lichter erinnerten an die bekannt gewordenen Schicksale von 33 Jüdinnen und Juden in Bergen, die während des Nationalsozialismus deportiert und ermordet wurden oder den Freitod wählten. Die Initiative Stolpersteine hatte in Kooperation mit beiden Kirchengemeinden zur Veranstaltung eingeladen.

Pfarrerin Kathrin Fuchs verlas das Stuttgarter Schuldbekenntnis der Evangelischen Kirche Deutschlands, das am 19. Oktober 1945 verabschiedet wurde und eine Mitschuld evangelischer Christen an den Verbrechen des Nationalsozialismus einräumt. „… wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben“, heißt es dort. Weil Mut und Widerstand fehlten, brannte am 10. November 1938 auch die Synagoge schräg gegenüber des heutigen Kinder- und Familienhauses, wurden jüdische Nachbarn verfolgt, verschleppt, getötet. Ihre Namen wurden von Teilnehmenden an der Gedenkstunde verlesen. Anschließend trugen die Menschen die Kerzen hinüber ins Evangelische Gemeindezentrum und stellten sie am Bühnenrand auf.

Andrew Steiman, Rabbiner der Budge-Stiftung, erzählte von der Gedenkstunde in seinem Haus, die am Vormittag stattgefunden hatte. Er sprach über Freundschaften zwischen Juden und Christen. „Gedenken ist wichtig, weil es vorwärts gerichtet ist. Die Erinnerungen der Zeitzeugen sind das größte Geschenk“, betonte er.

Nach einer musikalischen Einführung von Martina Georgi-Eichhorst berichtete die Germanistin und Historikerin Ursula Zierlinger von Elisabeth Schmitz. Die 1893 in Hanau Geborene setzte sich gegen die staatliche Verfolgung der Juden ein und betonte die jüdischen Wurzeln des Christentums. Schmitz studierte Geschichte, Germanistik und Theologie, promovierte 1920 in Berlin. Als Frau musste sie nach der Personalabbauverordnung von 1923 im öffentlichen Dienst unverheiratet bleiben. Sie schlug sich mit Zeitverträgen durch und erhielt erst 1929 eine Festanstellung als Studienrätin. Nach den Novemberpogromen von 1938 bat sie um ihre Versetzung in den Ruhestand: „Es ist mir in steigendem Maße zweifelhaft geworden, ob ich den Unterricht bei meinen rein weltanschaulichen Fächern – Religion, Geschichte, Deutsch – so geben kann, wie ihn der nationalsozialistische Staat von mir erwartet und fordert“, schrieb sie mutig. 1943 kehrte sie von Berlin nach Hanau zurück, nahm 1946 ihre Tätigkeit an der Schule wieder auf und wurde 1958 pensioniert. Als sie 1977 starb, begleiteten sie nur sieben Menschen auf ihrem letzten Weg.

1999 wurde die 1935 verfasste, jedoch nie zur Sprache gekommene Denkschrift Elisabeth Schmitz als der tatsächlichen Autorin zugewiesen. 2004 fand sich im Keller der Hanauer Johanniskirchen-Gemeinde eine Tasche mit ihrem schriftlichen Vermächtnis. 2005 erhielt sie ein Ehrengrab, 2011 wurde sie als Gerechte unter den Völkern von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem anerkannt.

Zwischen den Berichten über das Leben dieser unerschrockenen Frau las Erland Schneck-Holze Gedichte von Hilde Domin, Rose Ausländer, Nelly Sachs, Selma Meerbaum-Eisinger und Halina Nelken.