Wo Verkäufer nicht auf Obdachlose herabblicken Familien-Markt ist nun in Bergen-Enkheim zu Hause

Cafeteria-Leiterin Eva Gyorögova (links) und Familien-Markt-Leiterin Verena Schlossarek sorgen im Sozialkaufhaus für ein echtes Einkaufserlebnis. Foto: sh

Bergen-Enkheim (sh) – Wer am Eingang seinen Frankfurt-Pass, seinen Arbeitslosengeld (ALG) II-Bescheid oder entsprechenden Berechtigungsschein vorzeigt, darf im Familien-Markt einkaufen. Finanziell Benachteiligte gönnen sich dort ein Einkaufserlebnis, denn es gibt gespendete Second-Hand-Artikel für kleines Geld.

„Wir versuchen, ein komplettes Kaufhaus abzubilden, wie man es auch in der freien Wirtschaft findet“, sagt Familien-Markt-Leiterin Verena Schlossarek. Rund 2400 Quadratmeter stehen der Leiterin und ihrem Team dafür zur Verfügung. Das einstöckige Gebäude in der Röntgenstraße 10, gegenüber des Hessen-Centers, verfügt über Verkaufs-, Lager- und Sortierfläche sowie Büroräume. Träger der ökumenischen Einrichtung sind Diakonie und Caritas.

Familien-Markt ist seit April in Bergen-Enkheim zu Hause

Im April zog der Familien-Markt von Bornheim nach Bergen-Enkheim. Einige Arbeiten seien noch zu erledigen, aber gut eingelebt habe man sich in Bergen-Enkheim schon, so Schlossarek. Ihr gefallen die hohen Decken und großzügigen Fenster. Vor allem für die Sortierer, die in Bornheim im Keller arbeiteten, seien die neuen Räume ein enormer Fortschritt, sagt die Leiterin.

In Sortierung, Verkauf, Verwaltung und Logistik werden Langzeitarbeitslose beschäftigt, so genannte Arbeitsgelegenheiten (AGH), die das Jobcenter zuweist. Derzeit arbeiten im Familien-Markt mehr als 50 AGHs im Zwei-Schicht-Betrieb. „Das erklärte Ziel ist, dass Langzeitarbeitslose wieder im ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen können“, erläutert Schlossarek. Die Grundkompetenzen dafür üben sie bei der Arbeit im Familien-Markt, der Sozialkaufhaus und Beschäftigungsbetrieb in einem ist. Die Verkäufer begegnen der Klientel des Familien-Markts auf Augenhöhe, schließlich sind sie selbst auch Kunden der Einrichtung. „Das macht zum Beispiel den Umgang mit einem Obdachlosen einfacher. Dieser hat nicht den Eindruck, dass jemand auf ihn herabblickt“, erklärt die Leiterin.

Auch drei Geflüchtete arbeiten im Sozialkaufhaus an der Röntgenstraße

Bei Problemen hilft der Familien-Markt seinen Mitarbeitern mit seiner guten Vernetzung in der Ökumene weiter – zum Beispiel mit der Vermittlung einer Schuldner- oder Suchtberatung. Viele Langzeitarbeitslose hätten gebrochene Biografien, sagt Schlossarek und ergänzt: „Wir lassen niemanden alleine. Die Menschen sollen Stabilität und Strukturen bekommen.“ Auch drei Geflüchtete arbeiten seit Mai mit. „Das ist gelebte Integration“, freut sich die Leiterin.

Außerdem ist nachhaltiges Wirtschaften ein wichtiges Thema beim Familien-Markt. „Alle Dinge, die hier weiter gegeben werden, landen nicht im Müll“, betont die Leiterin. Verkauft werden Textilien – von Bekleidung bis zu Tisch- und Bettwäsche –, Küchenartikel und Geschirr, Spielsachen, Bücher, CDs sowie Möbel. Die gespendeten Artikel sollten sauber und intakt sein. „Manche Spender bringen uns akkurat gebügelte und auf Kleiderbügel gehängte Hemden“, schwärmt Schlossarek. Was aufgrund des Zustands nicht für den Verkauf im Familien-Markt geeignet ist, wird an den Textilverwerter Texaid weitergegeben.

Herrenschuhe werden dringend benötigt

Das Sortieren der Spenden erfordert viel Platz und ist arbeitsintensiv. Um alle Größen und eine breite Farbpalette abzudecken, wird das Sortiment im Verkauf dreimal am Tag wieder aufgefüllt. An Damenbekleidung gebe es meistens ein Überangebot, bei Herrensachen sehe das anders aus. „Wir haben einen hohen Bedarf an Männerschuhen. Der Familien-Markt stattet nämlich auch Frankfurts Obdachlose aus, da werden ständig Herrenschuhe gebraucht“, sagt Schlossarek.

Täglich kommen zwischen 120 und 130 Kunden in den Familien-Markt. Das seien mehr als am vorhergehenden Standort in Bornheim. „Aber die Kunden in Bergen-Enkheim kaufen weniger ein“, lautet Schlossareks Fazit. Damit die Klientel ein echtes Kaufhaus-Ambiente vorfindet, werden die Waren ansprechend präsentiert: Bekleidung farblich sortiert auf Rundständern, Sitzlandschaften und Schränke wie im Wohnzimmer arrangiert. Saisonales wie Fastnachtsartikel und Weihnachtsdeko gehört auch zum Sortiment. Sogar eine Ecke mit Sonderangeboten und eine gemütliche Cafeteria gibt es.

Laut Statistik sind zehn Prozent aller Frankfurter Haushalte überschuldet

Verena Schlossarek liebt ihre Arbeit und begrüßt Einrichtungen wie Sozialkaufhäuser. Vor allem vor dem Hintergrund, dass laut Statistik zehn Prozent aller Frankfurter Haushalte überschuldet seien. „Aber wie geht das weiter?“, fragt sie und blickt besorgt auf steigende Zahlen von Arbeitnehmern, die von dem Gehalt ihres Vollzeitjobs nicht leben können und Rentnern, die in die Grundsicherung rutschen. „Ein schönes Gesellschaftskonstrukt wäre, wenn man keine Sozialkaufhäuser mehr bräuchte“, sagt sie.

Spenden für den Familien-Markt werden zu den Öffnungszeiten Montag bis Mittwoch von neun bis 16 Uhr, Donnerstag von neun bis 18 Uhr und Freitag von neun bis 13 Uhr entgegengenommen. Ab 3. August wird die Spendenannahme donnerstags bis 20 Uhr ausgeweitet. Das Sozialkaufhaus ist unter Telefon 069 24751496550 und im Internet unter www.familienmarkt-frankfurt.de zu erreichen. Zum Flohmarkt am Sonntag, 1. Oktober, und Tag der offenen Tür am Donnerstag, 30. November ist der Familien-Markt für jedermann geöffnet. Mit den U-Bahnlinien U4 und U7 (Haltestelle „Hessen-Center“) ist der Familien-Markt gut zu erreichen.

Der Familien-Markt ist zudem Ausgabestelle des Kulturpasses des Vereins Kultur für alle, mit dem Frankfurt Pass-Inhaber und ALG II-Bezieher für wenig Geld Konzerte, Theateraufführungen sowie Museen besuchen können.