Autorin und Übersetzerin Cécile Wajsbrot zu Gast bei Anne Weber Immer schimmert Licht hindurch

Anne Weber (links) und Cécile Wajsbrot gewähren Einblicke in die Arbeit des Übersetzens von Literatur. Foto: Faure

Bergen-Enkheim (jf) – Es ist üblich, dass sich die amtierenden Stadtschreiber Gäste einladen. Nur kam bei Anne Weber, die das Amt bis September 2021 innehatte, die Pandemie dazwischen. So mussten Termine nachgeholt werden. Der mit Cécile Wajsbrot beispielsweise. Beide Autorinnen kennen einander schon länger, Weber übersetzte die zwei der jüngsten Bücher Wajsbrots aus dem Französischen ins Deutsche.

Die Kulturgesellschaft Bergen-Enkheim organisierte den Abend: Im Volkshaus Enkheim stellte Anne Weber die als Tochter polnischer Juden 1954 in Paris geborene Cécile Wajsbrot vor. Sie studierte vergleichende Literaturwissenschaften, arbeitete als Redakteurin, übersetzt aus dem Englischen und dem Deutschen und schreibt selbst. Bisher sind 14 Titel von ihr auf Deutsch erschienen. Die Autorin lebt in Paris und Berlin.

Wajsbrot beschäftigte sich viel mit traumatischen Ereignissen in ihrer Familie. Ihr Großvater wurde während der deutschen Besetzung von Paris nach Beaune-la-Rolande deportiert und später ermordet.

Wajsbrot thematisiert jedoch auch andere Ereignisse, so in „Die Köpfe der Hydra“ die Krankheit Alzheimer, ein Abschied aus dem Leben und von der Familie, bevor man tot ist. „Im Buch wird etwas zutiefst Miterlittenes deutlich“, kommentierte Weber.

Bei der Lesung steht „Nevermore“, 2021 erschienen, im Mittelpunkt. Der Leser wird zunächst mit der oft schwierigen Arbeit einer Übersetzerin konfrontiert. Was sind die richtigen Worte, was ist die beste Übertragung? Die Protagonistin übersetzt Virginia Woolfs „To the Lighthouse“ – schon der Titel wurde sowohl im Französischen als auch im Deutschen mehrfach verändert, es gibt also nichts eindeutig Gültiges. „Übersetzung ist eine ungenaue Wissenschaft“, heißt es in „Nevermore“.

Bei Woolf steht ein seit zehn Jahren verlassenes Haus im Fokus. Wajsbrot spannt in ihrem Roman den Bogen bis zur verbotenen Zone von Tschernobyl zu einer Industriebrache in New York. Es gibt nicht nur verwildernde Orte, die Übersetzerin muss auch mit der Trauer über den Tod einer Freundin umgehen lernen. „Es ist ein erzählerisches Nachdenken über das Verschwinden, das nie endgültig ist“, fasst Weber zusammen.

„Das Haus in Woolfs Roman und die verbotene Zone waren für mich dasselbe. Die Natur hat wieder die Macht übernommen, ich hatte die Bilder im Kopf. Aber weil ich keine Filmemacherin bin, ist ein Buch entstanden, kein Essay, sondern ein Roman“, sagte Wajsbrot.

Schließlich gewährten beide Autorinnen Einblicke in ihre Arbeitsweise beim Übersetzen. Wajsbrot erarbeitet bis zu sechs verschiedene Fassungen; Anne Weber feilt an einer. Beide wollen dabei dem Original möglichst nahekommen. „Die ersten Übertragungen sind bei mir dann nicht mehr Englisch oder Deutsch, sondern etwas dazwischen“, erklärte Wajsbrot, „aber meine Bücher sind auch im französischen Original nicht die erste Fassung. Man muss als Leser dem Autor vertrauen. Selbst wenn es wie in ‚Nevermore’ um Verlassen und Verschwinden geht, wollte ich das Licht behalten, es sollte immer wieder hindurchschimmern.“