Marion Poschmann ist neue Stadtschreiberin von Bergen-Enkheim Der Kaugummi wird zur Weltkugel

Dorothee Elmiger (links) übergibt Marion Poschmann den Schlüssel zum Stadtschreiberhaus.

Bergen-Enkheim (sh) – Eine Bühne, zwei Autorinnen, ein Schlüssel. Mit feierlicher Geste übergibt Dorothee Elmiger beim Stadtschreiberfest den symbolischen und den echten Schlüssel für das Stadtschreiberhaus an Marion Poschmann. Zuvor hat Poschmann bereits die Urkunde, die sie als Trägerin des Literaturpreises Stadtschreiberin von Bergen-Enkheim auszeichnet, aus den Händen von Stadtschreiberjury-Mitglied Charlotte Brombach erhalten. Großer Applaus brandet auf dem Berger Marktplatz auf. Es ist nicht der einzige Beifallssturm an diesem Sommerabend.

Nachdem Stadtkämmerer Bastian Bergerhoff (Grüne) zu Beginn der Veranstaltung die Grüße der Stadt Frankfurt überbracht hatte und sich dafür bedankte, dass mit diesem Preis die Sprache und Kultur gepflegt sowie die Literatur gelebt werde, richtete Moderatorin Brombach den eindringlichen Appell an den Vertreter der Stadt, die immer noch vakante Stelle des Geschäftsführers der Kulturgesellschaft Bergen-Enkheim so schnell und so kompetent wie möglich zu besetzen. „Der Preis Stadtschreiber von Bergen-Enkheim soll Frankfurt schmücken, also lassen Sie uns bitte nicht am ausgestreckten Arm verhungern“, fand Brombach klare Worte, die das Publikum zustimmend beklatschte.

Anstelle eines Festredners erinnerte Brombach an vergangene Festredner, die starken Eindruck hinterlassen hatten – so wie Galsan Tschinag aus der Mongolei, Festredner bei Peter Webers Amtsantritt 2004, der es schaffte, das volle Festzelt für eine Minute zum Schweigen und Innehalten zu bewegen.

Die nun scheidende Stadtschreiberin Dorothee Elmiger habe viel Zeit in Bergen-Enkheim verbracht und war dank ihrer zugewandten Art als Botschafterin der Literatur erfolgreich, fasste Brombach zusammen. In ihrer Abschiedsrede ließ Elmiger anhand von Alltagsbegegnungen die Frage über dem Marktplatz schweben, ob man sich zu den Glücklichen oder den Unglücklichen zählt, was Brombach mit: „Du hast uns glücklich gemacht!“ kommentierte. Deutlich wurde zudem, dass Elmiger dankbar für das Wohnrecht im Stadtschreiberhaus war, denn das Schreiben, sagte die Autorin, sei ein langsamer Prozess und das Stadtschreiberhaus ein Ort, der dieser friedlichen Tätigkeit gewidmet ist. Nun wird Poschmann sich in dem Haus an der Oberpforte einrichten, an das sie vor dem Stadtschreiberfest bereits ihr Namensschild angeschraubt hat. Es ist eine liebgewonnene Tradition, die Stadtschreiber sowie geladene Gäste im Garten des Stadtschreiberhauses mit Kaffee und Zwetschgenkuchen zu bewirten, wofür dieses Mal die Bergen-Enkheimer Landfrauen verantwortlich zeichneten. Sie erfüllten ihre Aufgabe mit Freude und Bravour.

Die mit Spannung erwartete Antrittsrede der Naturlyrikerin Poschmann, die sowohl Gedichte als auch Prosa und Essays verfasst, gewann die Gunst des Publikums im Sturm. Bei der völlig freien Themenwahl für die Antrittsrede hatte sich Poschmann „Kaugummi“ ausgesucht, was erst einmal für verwunderte Gesichter sorgte. Doch die 52-Jährige brachte es fertig, die Süßigkeit in so vielen Facetten zu beleuchten, dass die Verwunderung in Bewunderung umschlug. So könne sich ein Kaugummi zäh in die Länge ziehen, wie bei einem Roman, oder immer größer anwachsen, und mit einem Knalleffekt enden, wie bei einem Gedicht. Sie entdeckte den Teufel im Kaugummiautomaten, der mit Kugelblick und aufgerissenem Ausgabemaul auf den mühsam gesparten Groschen warte. Sie tauchte in die Geschichte ein, in der amerikanische Soldaten mit Kaugummi kamen, wobei der Osten Deutschlands kaugummifreie Zone blieb. Und sie näherte sich dem Bubblegum philosophisch, denn er tue ja nur so als ob – er scheint essbar, ist es aber doch nicht. „Was ist die Wirklichkeit, was sehen wir?“, knüpfte sie die Frage an. Ist die Kaugummikugel gar als Erdball zu betrachten? „Das ist die Arbeit eines Schriftstellers: Ein immerwährendes Durchkauen der Welt“, lautete ihr Fazit, das mit großem und herzlichem Applaus bedacht wurde.

Für den musikalischen Rahmen war das Ensemble Perismon zuständig, das mit persischer, mongolischer und Klezmer-Musik begeisterte.