Ein Stipendium, das hält, was es verspricht Sherko Fatah blickt auf Stadtschreiber-Jahr zurück

Sherko Fatah hat das Jahr als Stadtschreiber von Bergen-Enkheim genossen. Foto: zko

Bergen-Enkheim (zko) – Am Morgen nach dem jährlichen Stadtschreiberfest veranstaltet Adrienne Schneider, Tochter des Preisinitiators Franz Joseph Schneider, in ihrem schönen Garten in Bergen zu Ehren des scheidenden sowie des neuen Amtsinhabers ein ausgedehntes Frühstück für geladene Gäste.

Die Literaten treffen hier in entspannter Atmosphäre auf Literaturinteressierte und tauschen sich über Ungewöhnliches und Alltägliches aus. Ein passender Ort und eine gute Zeit für den scheidenden Stadtschreiber Sherko Fatah, sein Jahr in Bergen-Enkheim Revue passieren zu lassen.

Der Bergen-Enkheimer: „Herr Fatah, wie viel Zeit haben Sie im vergangenen Jahr in unserem Stadtteil Bergen-Enkheim verbracht?“

Sherko Fatah: „Ich war sehr viel hier in Bergen im Stadtschreiberhäuschen. Außer im November und im Juni war ich in jedem Monat hier. Es war vorwiegend Arbeitszeit für mich, kein Urlaub und ich habe viel geschrieben.“

Der Bergen-Enkheimer: „Haben Sie im vergangenen Jahr auch einen Text geschrieben, in dem Bergen-Enkheim als Ort vorkommt?“

Sherko Fatah: „Nicht so direkt, namentlich genannt wird der Stadtteil nicht, aber ich war und bin inspiriert von diesem Stadtteil und habe diesen Ort in meinen Texten sozusagen mitgedacht. Bergen-Enkheim war zwar eine Heimat auf Zeit, aber doch sicher eine Heimat für mich und das auch, weil ich den Alltag hier erlebt und viele Menschen kennengelernt habe, die zu guten Bekannten wurden. Als Berliner hat man ein bisschen Angst, dass die Anonymität, die wir Großstädter gewöhnt sind, verloren geht, aber das ist auch etwas Besonderes an diesem Stadtteil: Er bietet eine gute Mischung aus Vorort und städtischer Anonymität. Ich befürchtete anfangs, es gäbe eine Art Sozialkontrolle und ich würde mehr unter Beobachtung stehen, aber dem war nicht so. Bereits in den ersten Tagen meines Hierseins wusste ich: Das wird gut!“

Der Bergen-Enkheimer: „Sie haben Ihr Privileg genutzt, Kollegen zu einer Lesung einzuladen. So hatten Sie Anfang August die Schriftsteller Dorothee Elmiger und Roman Ehrlich zu Gast, die von Ihnen vorgestellt und interviewt wurden und aus ihren Romanen lasen.“

Sherko Fatah: „Ja, es lag mir sehr am Herzen, diesen brillanten Literaten, die sehr anspruchsvolle Literatur schreiben, ein Podium zu bieten und ich war hocherfreut, dass so viele Zuhörer in der Stadthalle waren.“

Der Bergen-Enkheimer: „Das Hoffest im Stadtschreiberhäuschen, zu welchem Sie noch im August eingeladen hatten, war für die hiesige Bevölkerung ein weiteres Highlight Ihrer Amtszeit. Fällt Ihnen der Abschied jetzt schwer?“

Sherko Fatah: „Allerdings, der Abschied stimmt mich traurig und ich meine, was ich sage. Das ist ein Jahr wichtiger Lebenszeit für mich gewesen und kein Urlaub, wie ich vorher bereits sagte. Ich habe viele Freundschaften geschlossen und ein Zugehörigkeitsgefühl entwickelt. Ich war zu Menschen nach Hause eingeladen und habe mir auch von einem Bekannten ein Fahrrad ausgeliehen, um die wunderbare Umgebung zu erkunden.

Auch ein Sonnenteleskop habe ich mir gekauft, um tagsüber einen astronomischen Blick in den hessischen Himmel zu werfen.

Um den Volkshochschul-Stadtschreiberkurs habe ich mich engagiert gekümmert und empfand es als sehr schön, dabei zu sein. Es hat mir Freude gemacht, Texte für den Kurs zu schreiben und mit so vielen interessierten Menschen über Herman Melville und andere Schriftsteller zu diskutieren. Überhaupt überraschte es mich, wie viele Menschen in Bergen-Enkheim sich für Literatur und Kultur interessieren. Zur Arbeit musste ich mich manchmal zwingen, aber die Hälfte meines neuen Romans ist fertig. Es gibt noch keinen Titel, das Thema ist wiederum der Nahe Osten. Es ist eine dramatische Geschichte, die sich mit den Ursprüngen des islamistischen Hintergrunds beschäftigt.“

Der Bergen-Enkheimer: „Haben Sie einen Tipp für Ihren Nachfolger Thomas Melle?“

Sherko Fatah: „Ja, ich habe mit ihm schon darüber gesprochen. Ich sagte ihm: ,Sollte dir die Decke mal auf den Kopf fallen, dann fahre zwei Wochen nach Hause und komm dann wieder.’ Das ist das Schöne an diesem Stipendium: Es hält, was es verspricht: Es macht frei!“