Christian Brückner und Thomas Cremer verzaubern Publikum in der Romanfabrik Ein Abend von und für Ror Wolf

Christian Brückner (links) und Thomas Cremer, im Hintergrund eine Collage von Ror Wolf. Foto: Faure

Ostend (jf) – Ror Wolf, eigentlich Richard Wolf, 1932 in Saalfeld in Thüringen geboren, 1953 in den Westen gegangen, schreibt seit den 1950er Jahren. In Frankfurt veröffentlichte er in der Studentenzeitung „Diskus“ Prosa, Lyrik, Literatur-, Theater-, Jazzkritiken und Bildcollagen. Seit 1963 ist er freier Schriftsteller, seine Beschäftigung mit Fußball mündet in Büchern und Radio-Collagen unter dem Pseudonym Raoul Tranchirer. Sein jüngstes Buch, der Gedichtband „Die plötzlich hereinkriechende Kälte im Dezember“, Ende 2015 im Verlag Schöffling & Co. erschienen, stand im Mittelpunkt einer Veranstaltung in der Romanfabrik.

Michael Hohmann, Leiter der Kultureinrichtung, hatte dazu den ausgewiesenen Wolf-Kenner und gefragten Sprecher und Vorleser Christian Brückner und den Jazz-Schlagzeuger Thomas Cremer eingeladen. Verleger Klaus Schöffling saß im Publikum.

Hohmann wies auf den Zusammenhang zwischen Lyrik und Musik hin; Wolf hatte als Schüler selbst Schlagzeug gespielt. „Er fuhr mit dem Fahrrad von seinem Geburtsort Saalfeld in Thüringen nach Berlin, um Jazzkonzerte zu hören“, sagte Hohmann.

Der Abend, der per Live-Stream übertragen wurde, so dass auf diese Weise Ror Wolf im eine Autostunde entfernten Mainz dabei sein konnte, begann mit einem Auszug aus dem Hörspiel „Leben und Tod des Kornettisten Bix Beiderbecke aus Nordamerika“, 1986.

Herrlich, wie sich zwei Männer im September 1932 auf dem Oberdeck eines amerikanischen Flussschiffes unterhalten, sich an die Zeit um 1905/06 erinnern, „ein Leben wie Butter. Und überall Schnaps“. 15 Jahre später war das anders; die 1920 eingeführte Prohibition und die Gangsterbanden machten das Leben schwer. Aber Louis Armstrong spielte mit seiner Band auf einem Mississippi-Dampfer. Da hörte Bix Beiderbecke ihn zum ersten Mal. Und die Band, so war das damals, musste immer spielen – auch während die Kneipe gerade überfallen wurde und einem die Kugeln um die Ohren flogen.

Phantastische Collagen

Brückner trug, nein spielte seine Lieblingsgedichte von Ror Wolf vor, im Hintergrund wurden phantastische Collagen des Autors gezeigt – eine Auswahl aus dem jüngsten Gedichtband. Immer wieder überraschen Wolfs Sprachspiele, abstruse, skurrile, ungewohnte Gedankensprünge, lakonische Schlusszeilen. Thomas Cremer illustrierte die Texte musikalisch, mal gleichzeitig mit Christian Brückner, mal solistisch. So hörten die Zuschauer Alltagsgeräusche, Regen, Gewitter, Bersten, Zerfließen, Zergehen, Verschwinden.

Das Buch versammelt Gedichte aus über 60 Jahren, „Gelegenheitsgedichte aus dem Nachlass“, wie der Titel über dem ersten Teil verrät, sowie „Hans Waldmanns endgültiges Verschwinden“ und bisher unveröffentlichte Collagen.

Dem Autor, der seine Kupferbergterrasse nur noch selten und ungern verlässt, wird dieser Abend wohl genauso viel Vergnügen bereitet haben wie Akteuren und Publikum.