Interview mit Dr. Rolf Teßmann, Chefarzt an der BG Unfallklinik Antibiotika nur zielgerichtet einsetzen

Dr. Rolf Teßmann setzt sich für die gezielte und streng geregelte Anwendung von Antibiotika ein. Foto: Faure

Seckbach (jf) – Multiresistente Erreger (MRE) sind in Krankenhäusern ein Problem. Doch wie kann man gegensteuern? Und liegen die Ursachen nicht viel tiefer? Dazu äußert sich der Experte Dr. Rolf Teßmann, Chefarzt der Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie an der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik (BGU) Frankfurt.

Dr. Teßmann, wo liegen denn die Ursachen für MRE?

Es ist einmal der Selektionsdruck, das heißt, Keime passen sich veränderten Umweltbedingungen an und bilden entsprechend widerstandsfähige Varianten aus. Zum anderen wird unsere scharfe Waffe Antibiotika langsam stumpf. MRE werden aus osteuropäischen, afrikanischen, asiatischen, südamerikanischen Ländern – überall dort, wo es kein strukturiertes Hygiene-und Antibiotika-Management gibt – importiert.

In den Niederlanden konnten MRE erfolgreich bekämpft werden. Was ist da anders?

In den Niederlanden wird bei jedem Patienten, der ins Krankenhaus aufgenommen werden soll, ein Screening auf MRSA vorgenommen. MRSA sind Bakterien, die auch ein bis zwei Prozent der Bevölkerung auf der Haut tragen können. Gesunden Menschen macht das nichts aus, Hochrisikopatienten schon. Seit 2009 gibt es das MRE-Netzwerk Rhein-Main, im Februar 2016 wurde eine „Antibiotic Stewardship (ABS)“-Arbeitsgruppe innerhalb dieses Netzwerks gegründet. Die BGU führt seit einigen Wochen als einzige Klinik ein Screening ähnlich wie in den Niederlanden eigenfinanziert durch. Es ist teuer und wird nicht von den Kassen gegenfinanziert. Aber es ist erfolgreich. In der BGU werden übrigens auch frisch Verunfallte gescreent und notfalls isoliert. Doch das echte Problem sind multiresistente gramnegative Bakterien (MRGN). Seit zehn bis fünfzehn Jahren wurde kein entsprechendes Antibiotikum mehr gegen MRGN entwickelt.

Also doch Antibiotika…

Wir als Krankenhaus befinden uns am Ende der Antibiotika-Kette. Zwei Drittel aller Antibiotika werden in der Tiermast eingesetzt, ein Drittel in der Humanmedizin, und davon werden zwei Drittel von den niedergelassenen Ärzten verschrieben. Diesen massenweisen Einsatz von Antibiotika wollen wir eindämmen – deshalb gibt es ABS.

Das müssen Sie näher erläutern.

Gerne. Etwa jeder vierte Patient im Krankenhaus erhält Antibiotika. Wir wollen den Umgang mit Antibiotkika strukturieren, die optimale Anwendung sicherstellen. Dafür bilden wir „Infektologen“ aus, identifizieren Erkrankungen schnellstmöglich und setzen die Medikamente zielgerichtet ein. Ist bei einer schweren Infektion ein Erreger nicht bekannt, wird sicher zunächst ein Breitbandantibiotikum verwendet, aber eben kontrolliert. Mit einer optimalen Verwendung von Antibiotika kann der Verbrauch dieser Arzneimittel im Krankenhaus um bis zu 40 Prozent gesenkt werden.

Und wie genau soll das funktionieren?

Die ABS-Fachleute der BGU entwickelten schon vor längerer Zeit eine „Hausliste“, die für definierte Krankheitsbilder bestimmte Antibiotika empfiehlt und auch mögliche Ersatzpräparate nennt. Auch die Umstellung antibiotischer Therapien bei bekanntem Erreger nach einem Antibiogramm und die Therapiedauer sind darin geregelt. Bei der Umsetzung aller Maßnahmen müssen Infektologen, Apotheker, Labore, Hygieniker und Pflegepersonal Hand in Hand und arbeiten. Die mikrobiologischen Untersuchungen müssen so schnell wie möglich vorliegen, deshalb haben wir ein hauseigenes Labor und im Krankenhaus Nordwest einen extrem kompetenten mikrobiologischen Partner.

Das klingt gut. Machen denn alle bei diesem ABS-Programm mit?

Bislang beteiligt sich ein Drittel der Kliniken in Frankfurt. Unser Ziel ist es natürlich, jedes Krankenhaus und auch die Pflegedienste zu erreichen.

...und die niedergelassenen Ärzte...

...und die Patienten, na klar. Wir haben gemeinsam mit den Niedergelassenen ein Ziel: dass „weniger“ bei den Antibiotika „mehr“ ist.

Kann der Kranke, der zu seinem Hausarzt geht, auch etwas unternehmen?

Natürlich, der mündige Bürger ist gefragt. Antibiotika sind nur bei einem bakteriellen Organbefall sinnvoll. Und dann auch nicht über lange Zeit. Wenn sich der Erkrankte wieder besser fühlt, sollte er sich beim Hausarzt erneut vorstellen und ansprechen, ob überhaupt noch Antibiotika notwendig sind. Also keinesfalls „die ganze Schachtel durchnehmen“, wie es oft heißt. Bei unkomplizierten Harnwegsinfekten bei Frauen können beispielsweise krampflösende und schmerzlindernde Arzneimittel mit gleichem Erfolg wie Antibiotika eingesetzt werden.

Und wie könnte Sie die Gesundheitspolitik wirkungsvoll unterstützen?

Uns limitiert der Gegenfinanzierungsdruck. Gute Hygiene wird nicht ausreichend bezahlt. Wir brauchen Zeit für eine vernünftige Patientenbehandlung. Wenn die fehlt, wird automatisch die Qualität schlechter.

Anmerkung: Geschätzt 30 000 Patienten erwerben jährlich in Deutschland Erreger im Krankenhaus und sterben daran. In der BGU ist 2015 kein einziger Patient an MRE gestorben.

Nicht zuletzt deshalb unterstützt auch Professor Hoffmann, Ärztlicher Direktor der BGU und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie das ABS-Programm nachdrücklich.