Alt und einsam? Keineswegs! Azubis besuchen Altenpflege-Einrichtungen

Sabine Heinzel (von links), Sven Zoufal, Franziska Geisler, Armin Blum, Gianluca Colombo, Annika Keiling und Nils Dürschmied mit dem Plakat zur nächsten Diskonacht. Foto: Faure

Bornheim/Eckenheim (jf) – Wow! Wer erstmals das Julie-Roger-Haus in der Gummersbergerstraße betritt, staunt nicht schlecht: Man fühlt sich in die 1920er, 1930er Jahre zurückversetzt. Große, gemütliche Sessel, Fotos von damals berühmten Schauspielern wie Zarah Leander, Lilian Harvey, Marlene Dietrich, Hans Albers, Marylin Monroe, Clark Gable an den Wänden. Filmposter.

Nils Dürschmied, Franziska Geisler, Gianluca Colombo und Sven Zoufal sind zum Abschlussgespräch gekommen. Auch dieser kleinere Raum mit dem großen Tisch in der Mitte weckt Erinnerungen an Omas Wohnstube. Armin Blum, Leiter des Hause, Anna Keiling, stellvertretende Pflegedienstleiterin, und Sabine Heinzel, Dienst Soziales Leben, erwarten die Jugendlichen schon.

Die Gruppe aus der Klasse der Wilhelm-Merton-Schule, künftige Kaufleute für Büromanagement, hat sich im Rahmen eines sozialen Projekts in der Einrichtung des Frankfurter Verbands umgesehen, war einen halben Tag lang im Haus, sprach mit Bewohnern und Mitarbeitern, hospitierte. „Wir wussten gar nicht, dass viele der Bewohner alleine aufstehen. Manche wollen auch geweckt werden. Sie frühstücken entweder gemeinsam in den Wohnzimmern der Bereiche oder im Restaurant. Manche bleiben auf ihren Zimmern“, berichtet Nils Dürschmied.

Bestnoten auch von der Krankenversicherung

„Die meisten bevorzugen die Gemeinschaft, haben feste Tische mit festen Tischnachbarn“, erläutert Armin Blum. „Wir haben bei unserem Besuch keine Einsamkeit erlebt. Es ist fast ein bisschen schade, dass wir noch so jung sind – es ist wirklich ein tolles Haus“, bilanziert Dürschmied. „Im Internet ist viel Negatives über die Altenpflege zu lesen. Deshalb fragten wir uns beim Besuch, ob wir im Roger-Haus überhaupt richtig sind“, bemerkt Franziska Geisler, „so etwas hatten wir nicht erwartet.“ „Auch der Medizinische Dienst der Krankenversicherung bewertet uns mit Bestnoten – das ist wie Salbei“, erklärt Blum. Das Julie-Roger-Haus hat 117 Pflegeplätze und 24 teilstationäre Plätze.

„Die Hälfte der zu Pflegenden nutzt das Restaurant“, sagt Blum. Die Frauen und Männer sind zwischen 63 und 98 Jahre alt, der Anteil beider Geschlechter im Haus hält sich etwa die Waage. Rund 100 Mitarbeiter, davon 46 Vollbeschäftigte in der Pflege, kümmern sich um die Bewohner.„Es ist tatsächlich eine beeindruckende Einrichtung mit Gegenständen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wir haben mit den Bewohnern gesprochen und staunten über das große tägliche Angebot an Spielen, Sport, Kochgruppen, Gedächtnistraining, Gesprächsrunden“, äußert Gianluca Colombo. „Das Erste, was ins Auge fällt, ist das Ambiente. Schaut man weiter, bemerkt man, dass viele gemeinsam essen. Außerdem können auch Gäste für kleines Geld im Haus das Mittagessen einnehmen“, erklärt Sven Zoufal. „Es ist leicht, miteinander zu plaudern – das Foyer funktioniert wie ein Straßencafé. Anderswo kommt man in die Einrichtung und sieht niemanden. Das macht keinen guten Eindruck“, setzt der Leiter des Hauses hinzu.

Auszeichnung als Diversity-Haus

„Die Jugendlichen haben mit Menschen, die ganz unterschiedliche Krankheiten aufweisen, gesprochen. 80 Prozent unserer Bewohner haben diagnostizierte Demenz“, schaltet sich Sabine Heinzel ein. „Wir arbeiten biografisch, oft ist die Erinnerung an frühe Lebensabschnitte noch da“, ergänzt Blum. „Und wir sind als Diversity-Haus ausgezeichnet“, fügt Heinzel hinzu, „anders lebende und anders denkende Menschen werden respektiert.“ „Sexualität spielt ebenfalls eine Rolle, die wird ja nicht abgeschaltet, wenn man über 60 ist“, sagt Blum.

„Die Strip-Nächte haben mich erstaunt“, geht Nils Dürschmied auf eine Besonderheit ein. „Ein guter Stil ist mir dabei wichtig. Bei der ersten Veranstaltung gab es noch Drohbriefe aus der Nachbarschaft, inzwischen kommen auch Anwohner zu dieser besonderen Nacht, die einmal im Jahr stattfindet“, erklärt Blum. Er ist seit über 30 Jahren in der Altenpflege tätig, hat als Zivildienstleistender das Julie-Roger-Haus kennen und schätzen gelernt. „Die Arbeit mit Menschen ist mein Ding. Und ich will etwas bewegen. Dafür müssen wir uns als Mitarbeiter fragen, was sich die Bewohner wirklich wünschen. Und die Krankenhausatmosphäre aus den Häusern verbannen. Manche kommen sterbenskrank zu uns – und leben wieder auf, weil die Seele bewegt wird.“

Keine Bedenken wegen Einsamkeit

„Ich finde, es macht schon etwas aus, wenn der Leiter des Hauses die Arbeit von der Pike auf gelernt hat und sich nicht nur mit Zahlen beschäftigt“, sagt Sven Zoufal. „Mein Opa war in einem Heim untergebracht, in dem er nicht einmal richtig Zeit zum Essen hatte. Hier ist das ganz anders“, urteilt Franziska Geisler. „Man muss keine Angst haben, wenn die Frage steht, Angehörige in eine Einrichtung zu geben – man muss nur die richtige aussuchen. Beim Julie-Roger-Haus hätte ich keine Bedenken, da ist Einsamkeit kein Thema“, bekennt Nils Dürschmied.Die drei anderen Jugendlichen nicken zustimmend. Und über die Gesichter der Mitarbeiter huscht ein Lächeln.