Schmerzhafte Erinnerung Berührende Holocaust-Gedenkstunde in der Budge-Stiftung

Die Überlebenden Bert Silbermann, Klaus Kozminski und Heinz Hesdörffer zünden eine Kerze an – Michael Dietrich von der Budge-Stiftung hilft dabei. Foto: Faure

Seckbach (jf) – Auf dem Banner, das auf der Bühne des Rosl-und-Paul-Arnsberg-Saals steht, ist hinter hohem Stacheldraht ein düsteres Gebäude zu erkennen. Auschwitz. Davor steht ein frischer Strauß weißer Blüten. Zentral vor der Bühne wurde ein Tisch mit sechs großen und vielen kleinen Kerzen aufgebaut. Noch ist keine angezündet.

Traditionell beginnen Rabbiner Andrew Steiman, Pfarrerin Gisa Reuschenberg und Diakon Franz Reuter die Gedenkstunde mit einer gemeinsamen Andacht. Thorsten Krick, Geschäftsführer der Henry und Emma Budge-Stiftung, begrüßt die Gäste, darunter Jugendliche aus der Friedrich-Ebert-Schule. „Wir gedenken all jener, die Unliebsame in einem Terrorregime waren und verfolgt und ermordet wurden“, so Krick.

Bis zu 1,5 Millionen Menschen wurden allein in den Lagern von Auschwitz ermordet. „Die Schar der Überlebenden wird immer kleiner. Deshalb müssen wir die Zeit, in der wir noch mit ihnen sprechen können, nutzen. Solche Momente sind kostbar“, sagt der Geschäftsführer. „Vielleicht haben wir nicht genug getrauert, nicht genug erklärt in den letzten Jahren. Vielleicht sind wir deshalb mit verantwortlich für Hass und Chaos in der Welt und das Defizit an Wissen über die Vergangenheit in unserer Gesellschaft“, gibt Krick zu bedenken.

„Meine Tochter hat darunter gelitten“

„Meine Eltern konnten Deutschland noch rechtzeitig verlassen. Ich bin ein Nachgeborener, 1953 kehrten meine Eltern aus Israel nach Deutschland zurück, ich kam in Deutschland zur Welt. Ich selbst habe die Shoah nicht erlebt. Aber sie hatte Einfluss auf mein Leben“, beginnt Manfred Levy, pädagogischer Mitarbeiter im Jüdischen Museum und im Fritz-Bauer-Institut, seine Ansprache. Erst 1996, 51 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, wurde der 27. Januar in Deutschland zum bundesweiten, gesetzlich verankerten Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.

Erst seit 2005 ist er von den Vereinten Nationen zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust erklärt worden. „Erinnern muss in die Zukunft gerichtet werden“, sagt Levy. Er zitiert aus den Berichten von 19 Auschwitz-Überlebenden. Sie wurden am 27. Januar 1945 befreit – aber frei waren sie nie wieder. „Meine Tochter hat darunter gelitten, dass meine Frau und ich nicht darüber sprechen konnten“, sagte Raphaël Esrail, ein französischer Jude, der im Widerstand war, im Januar 1944 gefasst und nach Auschwitz gebracht wurde. Er und seine Frau Liliane, die Birkenau und Ravensbrück überlebt hat, konnten nie mit der Tochter über all das Grauen sprechen. Andere Überlebende dagegen waren und sind unermüdlich unterwegs, erzählen den Nachgeborenen ihre Geschichten – so wie Heinz Hesdörffer, der 93-Jährige, der in der Budge-Stiftung lebt und ein Buch über seine schlimmen Erfahrungen in verschiedenen Lagern und auf dem Todesmarsch geschrieben hat.

„Ein kollektives Vergessen der Shoah darf nicht zugelassen werden. Dagegen arbeite ich“, schließt Manfred Levy seinen Vortrag.

Das feierliche Entzünden der Kerzen folgt, die sechs großen Lichter stehen für sechs Millionen Opfer des Holocaust.