Die Grundlage des Hasses Budge-Stiftung begeht Gedenkstunde zur Pogromnacht

Viele versammeln sich vorn zum Entzünden der sechsten Kerze. Foto: Faure

Seckbach (jf) – Drei festgeschriebene Gedenktage gibt es in der Budge-Stiftung, der einzigen Einrichtung in Europa, in der christliche und jüdische Menschen ihren Lebensabend gemeinsam verbringen. Es ist der 27. Januar, der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus; der Holocaust-Gedenktag am 8. April, und eben der 9. November, an dem 1938 Synagogen und jüdische Geschäfte in Deutschland in Brand gesteckt wurden.

Pfarrerin Gisa Reuschenberg, Diakon Franz Reuter und Rabbiner Andrew Steiman sprachen zu Beginn ein gemeinsames Gebet: „Wir erinnern uns, dass zu wenige Christen aufschrien, als Menschen in Deutschland gefoltert und ermordet wurden“, sagte Reuschenberg. Reuter erbat göttlichen Beistand für den Trost der Trauernden und die Stärke der Überlebenden. Alle gemeinsam baten um Kraft, Liebe und Besonnenheit für die Welt. „Wir wollen einander mit Mut und in Ehrlichkeit begegnen“, fügte Reuter hinzu.

Andrew Steiman sprach stellvertretend für den erkrankten Geschäftsführer Thorsten Krick: „Der Krieg begann am 9. November 1938 im eigenen Land gegen die eigene Bevölkerung.“ Wenn man über die NS-Zeit nachdenke, stellten sich viele Fragen: Wie war so etwas möglich? Steiman erinnerte an die lange Geschichte des Antisemitismus. Auch Martin Luther habe sich Juden gegenüber feindlich geäußert – das dürfe man bei den Feierlichkeiten zum Reformationsjubiläum nicht vergessen.

Propagierung deutschen Ariertums

In der anschließenden Rede ging Benjamin Ortmeyer, Forschungsstelle NS-Pädagogik an der Goethe-Universität, auf Grundlagen des Hasses ein: „Die NS-Indoktrination war systematisch. Dokumente wie Schulbücher, Protokolle und Feierstunden beweisen das.“ 1.600 Briefe von jüdischen Emigranten belegen, dass sie als Schulkinder in den Jahren 1933 bis 1938 (kurz nach der Pogromnacht wurden deutsche Schulen für jüdische Kinder geschlossen) von den Lehrern vorgeführt wurden. Die Propagierung deutschen Ariertums verband sich mit der Hatz gegen andere. Gleichzeitig wurden viele Posten und Pöstchen vergeben – ein probates Mittel im System von Befehl und Gehorsam. „NS-Pädagogik hatte nichts mit humanistischer Bildung zu tun“, konstatierte Ortmeyer, „Pädagogik hat sich auf die Seite der Verfolgten zu stellen.“

Die Forschungsstelle NS-Pädagogik stoße nicht immer auf Gegenliebe. So seien einige anlässlich des 100. Jubiläums der Goethe-Universität 2014 der Meinung gewesen, dass die NS-Zeit doch nicht recht ins Jubel-Bild passe und die 1938 erfolgte Promotion des späteren KZ-Arztes Josef Mengele nicht an die große Glocke gehängt werden solle. 1961 wurde Mengele der Doktortitel aberkannt – der klagte aus seinem Versteck in Südamerika dagegen. Erst 1964 verkündeten die Rektoren der Frankfurter und der Münchner Universität, dass Josef Mengele nicht mehr berechtigt sei, einen Doktorgrad zu führen.

NS-Pädagogik in den Lehrplänen

„Nur wenige Universitäten nehmen das Kapitel NS-Pädagogik in ihre Lehrpläne auf. Das ist jedoch für künftige Lehrer wichtig“, unterstrich Ortmeyer. Mut mache, dass sich viele Studierende für dieses Thema interessierten – und auch dafür, was mit ehemaligen Lehrern aus der Nazizeit nach 1945 geschah. Traditionell wurden nach der Ansprache sechs Kerzen angezündet, sie stehen symbolisch für das Gedenken an die Ermordung von sechs Millionen jüdischer Menschen. Unter den Zeitzeugen, die diese Kerzen anzündeten, war auch Klaus Kozminski, er wurde als jüdisches Kind in einem Kloster versteckt und überlebte so. Nicht alle duckten sich in der Nazizeit weg, es gab auch Mut und Menschlichkeit. Leider zu wenig. Zum Entzünden der sechsten Kerze waren viele nach vorne gekommen: Mitarbeiter der Stiftung, Schüler der IGS Nordend, der Leiter des sechsten Polizeireviers, Vertreter der Initiative Stolpersteine. Ein Bild, das tröstet und ermutigt.