Quer durch Europa als „Blinder Passagier“ Dialogmuseum lädt zu besonderer Reise im Dunkeln ein

Alexandra Kurcsics (links) und Klara Kletzka vor dem Dialogmuseum mit dem Würfel, in dem die beantworteten Fragebögen gesammelt werden – am Ende wird ein Gewinner gezogen. Foto: Faure

Ostend (jf) – Sechs europäische Städte in 90 Minuten? Geht doch gar nicht. Geht doch: Seit 2006 gibt es das Format „Blinder Passagier“ im Dialogmuseum in der Hanauer Landstraße 145. In der 13. Ausgabe in diesem Sommer wird nicht nur ein Land bereist, sondern vier beziehungsweise sechs europäischen Städten ein höchst informativer Kurzbesuch abgestattet. Die Zahl hängt von der gebuchten Tour – 60 oder 90 Minuten – ab.

„In allen Städten gibt es eine Partner-Ausstellung ‚Dialog im Dunkeln’“, erklärt Geschäftsführerin Klara Kletzka, „es ist eine Art City-Hopping, was wir in diesem Jahr anbieten.“ Statt Sightseeing sind im Dunkeln eben alle anderen Sinne gefragt. Münir, der sehbehinderte Guide, begrüßt die kleine Gruppe, jeder mit einem Langstock ausgerüstet, in totaler Finsternis. Mit auf den Kurztrip geht auch Alexandra Kurcsics, die das Konzept der diesjährigen Ausstellung erarbeitete.

Eine allen Reisenden unbekannte Sprache ist zu hören: Litauisch. Dazwischen ein kratzendes Geräusch. „Das Essen wird vorbereitet, Hauptbestandteil sind diese Gegenstände im Korb“, erläutert Münir. Aha, Kartoffeln. Die werden gerade gerieben, um Zeppelinas zuzubereiten, eine Art mit Hackfleisch gefüllter Kloß. Es dauert ein bisschen, bis man sich an das Schwarz und seine Geräusche gewöhnt hat, bis man gelernt hat, den Stock richtig zu benutzen, bis man nicht mehr nur an der Wand entlang schleicht, Vertrauen hat in den Guide, Tast- und Tritterfahrungen weitergibt und miteinander ins Gespräch kommt. Münir ist hier der Chef, achtsam, verständnisvoll, helfend, erklärend und humorvoll.

Fremde Länder fühlen und riechen

Weiter geht die Reise über Moskau nach Istanbul. Münir wird zum Fährmann, das Plätschern des Wassers im Bosporus ist nicht nur zu hören, sondern auch zu spüren, ein paar Spritzer bekommen die Besucher ab. „Oops“, meldet sich jemand, es wird gelacht – die Tropfen stören nicht wirklich. Schon erwartet Athen die Gäste mit einer Ausstellung. Figuren auf Stelen sind zu erfühlen, Büsten von bekannten Persönlichkeiten der griechischen Geschichte, darunter eine Skulptur der Pythia, Priesterin des Orakels von Delphi. Da ist es nicht weit bis zu den Olympischen Spielen, Sportgeräte hängen an der Wand, auch da ist der Tastsinn gefragt. Schon ist Mailand erreicht, auf dem Markt erfühlen die Hände Obst und Gemüse, es riecht nach Kräutern.

In Wien endet die Tour, in einem Kaffeehaus kann man sich ausruhen und eine Kleinigkeit zu essen und zu trinken bestellen. Münzen wechseln, ohne sie zu sehen? Kein Problem, der geschulte Barkeeper, in diesem Fall der Kaffeehaus-Kellner, hat alles im Griff. Wie man sich vor anderthalb Stunden an die völlige Dunkelheit gewöhnen musste, erfordert nun das anfangs grell erscheinende Licht wieder eine Umstellung. Die Sonne sehen. Schön. Es war nicht nur ein Trip durch Europa, es war eine ganz besondere Reise, die einem in Erinnerung bleiben wird. „Es ist hoffentlich nicht der letzte ‚Blinde Passagier’“, äußert Klara Kletzka.

Muss das Museum nach 13 Jahren schließen?

Das Dialogmuseum muss Ende des Jahres raus aus den Räumen in der Hanauer Landstraße. Nach 13 Jahren kann sich das privat geführte soziale Unternehmen die Mieterhöhung nicht mehr leisten. Wenn keine anderen Räume, die zwischen 800 und 1000 Quadratmeter groß sein sollten, gefunden werden, ist Schluss. Schluss auch für über 40 Beschäftigte, darunter viele sehbehinderte Mitarbeiter, die im Dialogmuseum nicht nur einen Beruf gefunden, sondern Selbstbewusstsein hinzugewonnen haben. 

Rund 870 000 Besucher haben den Parcours auf etwa 400 Quadratmetern erlebt und waren beeindruckt. Sollte Frankfurt, einst Pionier bei „Dialog im Dunkeln“, diese wichtige Einrichtung wirklich aufgeben wollen? Bis zum 2. September ist die Europareise im Dunkeln buchbar, man muss sich vorher anmelden. Einzelheiten sind unter www.dialogmuseum.de zu finden. Ein Gewinnspiel gibt es in diesem Jahr natürlich auch wieder, mit etwas Glück kann man eine Reise für zwei Personen nach Mailand antreten. Und sich die Stadt dann wirklich ansehen.