Zeugnisse aus längst vergangenen Tagen betrachten Das gab's im Exil-Archiv der Nationalbibliothek zu sehen

Stephanie Preuss (links) mit einem ungefährlichen Bücherwurm aus Plüsch und Sylvia Asmus mit der Hermelin-Schärpe von Fritz Neumark. Foto: Faure

Nordend (jf) – Ein Schrankkoffer fällt auf. Er steht gleich am Eingang zur Exposition in der Deutschen Nationalbibliothek und ist das wohl signifikanteste Objekt für das Weggehen. Sylvia Asmus, Leiterin des Deutschen Exilarchivs 1933 – 1945, und Stephanie Preuss, verantwortlich für Bestandserhaltung, gingen mit rund 20 angemeldeten Besuchern durch die Ausstellung. Und dabei gab es einiges zu entdecken. 

 „Es waren viele Umbauten notwendig, bis wir am 8. März dieses Jahres die Dauerausstellung endlich eröffnen konnten“, begann Asmus. Nun werden rund 250 Exponate, fast ausschließlich Originale, und 300 Publikationen gezeigt. Da es vorrangig um Schriftstücke geht, spielt der Lichtschutz eine besondere Rolle; Stoffe mit unterschiedlicher UV-Strahlen-Durchlässigkeit wurden benötigt, Tageslichtsensoren regeln die Beleuchtung in der Schau. „Wir mussten für jedes Exponat die erträgliche Lux-Zahl ermitteln“, erklärte Preuss.

Die in drei Kapitel – Flucht, Exil, nach dem Exil – gegliederte Exposition stellt nicht Zeugnisse Prominenter in den Vordergrund, sondern gibt einen Überblick zum Leben im Exil quer durch beinahe alle Berufe. Etwa 500.000 Menschen wurden zwischen 1933 und 1945 ins Exil gezwungen. „Bei der Restaurierung geht es nicht darum, ein Objekt in seiner Vollständigkeit wiederherzustellen. Wir wollen bewusst Gebrauchsspuren bewahren“, sagte Preuss. Asmus verweist auf die Laden unter den Vitrinen: „Hier gibt es nachgestaltete Pässe, Bücher und Zeitungen, in denen man blättern kann.“

Die Rückkehr nach Deutschland

Irma Lange emigrierte aufgrund ihrer jüdischen Abstammung 1939 mit ihrem Sohn nach Großbritannien. Ein besonderes Objekt ist die von ihr selbst genähte Tasche für ihren Sohn Hanns. Die Stickereien und Aufnäher zeigen den Weg von der Verhaftung Irma Langes im September 1940 in der Nähe von London bis zur Internierung auf der Isle of Man, die sie im Juli 1942 wieder verlassen konnte. „Besonders die Ecken der Tasche wiesen starke Gebrauchsspuren auf. Die Restaurierung, bei der wir die Ecken von innen mit Spezialpapier sicherten, war eine Herausforderung“, erzählte Preuss.

„Manchmal gelangen Zeugnisse in unser Haus, die eine spezielle Behandlung erfordern. So kommt beispielsweise ein gefälschter Pass, schon angeschimmelt und von Insekten befallen, zunächst in Quarantäne. Dann muss Seite für Seite per Hand gereinigt werden – nicht der beliebteste Job bei uns“, sagte die Expertin für Bestandserhaltung.

Seidensäckchen ist kostbares Exponat

Ein winzig kleines Seidensäckchen trägt die Aufschrift „Erde vom Grabe meiner lieben Mutter“: Walter Zweig, Vater von Stefanie Zweig, hat dieses Andenken 1938 mit ins Exil nach Kenia genommen. „Das ist auch für uns ein kostbares Exponat, die Schrift ist kaum noch zu erkennen. Es wird besonders vor Licht geschützt“, bemerkte Asmus.

Im Obergeschoss beschäftigt sich die Ausstellung mit der Frage von Rückkehr nach Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und der Haltung zur Nazizeit. Ein Erinnerungsalbum von Yitzhak Sophoni Herz über seine Zeit in Camp Hay (Australien), der 1939 nach Großbritannien emigrierte, 1940 nach Australien deportiert wurde und 1970 nach Israel auswanderte, stellte die Restauratoren vor schwierige Aufgaben, weil die Bilder mit Klebefilm gehalten wurden. „Das bedeutete etwa einen Monat Arbeit, um den Film abzulösen und die Bilder dann mit dünnen Papierstreifen wieder zu befestigen“, berichtete Preuss.

Magazine sind im Untergeschoss

In drei Untergeschossen auf rund 30.000 Quadratmetern befinden sich die Magazine. „Die unterirdische Bibliothek ist größer als die oberirdische“, stellte Asmus fest. Das Exil hat dabei ein eigenes Archiv. Sylvia Asmus öffnete eine Schatulle und holt eine mit Hermelin besetzte Schärpe heraus, die dem Finanzwissenschaftler Fritz Neumark anlässlich der Verleihung des Ehrendoktors von der Universität Paris überreicht worden war. Neumark hatte sich an der Frankfurter Universität habilitiert und verlor als jüdischer Professor 1933 sein Amt. 1952 kehrte er nach Frankfurt zurück.

„Diese Schärpe haben wir bei minus 40 Grad eingefroren. Diese Temperaturen überlebt der Pelzkäfer nicht“, äußerte Stephanie Preuss. Mit Insekten wie Papierfischchen und Bücherwürmern – Letztere gibt es tatsächlich, er wird auch als Gekämmter Nagekäfer oder Bücherbohrer bezeichnet – müssen sich die Bestandsschützer ebenfalls herumschlagen. „Eigentlich ist es ganz normal, ein Insekt zu finden. Nur bei einer großen Anzahl müssen wir uns etwas einfallen lassen“, beruhigte Preuss.

Der Tresor ist die letzte Station

Letzte Station des Besuches ist der Tresor. In diesem gut verschlossenen Raum befinden sich besondere Schätze, darunter viele Autografen. 14 Mitarbeiter hat das Exilarchiv, dazu drei Kolleginnen in Leipzig. Über 80.000 Medieneinheiten wurden vom Deutschen Exilarchiv und von der Sammlung Exilliteratur in Leipzig 2017 bereitgestellt – eine beachtliche Zahl. Zur virtuellen Ausstellung „Exil. Erfahrung und Zeugnis“ gelangt man über www.exilarchiv.dnb.de .