Liebe und Sterben Gisela Getty liest Texte von Jutta Winkelmann

Anya Schutzbach (von links), Rainer Weiss und Gisela Getty. Foto: Faure

Sachsenhausen (jf) – Die Ausstellungshalle Schulstraße 1 A füllte sich, Gisela Getty nahm auf dem kleinen Podium Platz, ihr zur Seite der Chefredakteur des Journal Frankfurt Nils Bremer. Verlegerin Anya Schutzbach, Weissbooks, nebenan an einem kleinen Tisch mit Leselampe.

„Vor drei Monaten habe ich mit Jutta Winkelmann telefoniert, sie wäre gerne selbst nach Frankfurt gekommen. Aber das kann sie nicht mehr. Also ist ihre Schwester Gisela an diesem Abend da“, erklärte Verleger Rainer Weiss. Schutzbach las den Anfang des Buches „Mein Leben ohne mich“, über dem Jim Morrisons Liedzeilen „This Is The End“ stehen. „Mein Rückgrat ist zerstört, zwei Wirbel von zwei Tumoren zerfressen. Sie sitzen direkt am Rückennerv. Es sind höllische Schmerzen“, schrieb Jutta Winkelmann. Stille. Nach der ersten Passage dauerte es ein bisschen, Gisela Getty wischte sich die Tränen ab, fasste sich, sagte leise: „Entschuldigung.“

„Das Leben von Zwillingen ist völlig anders."

Nils Bremer wollte auf die Kindheit der Zwillingsschwestern Schmidt, geboren 1949 in Kassel, zu sprechen kommen. „Das Leben von Zwillingen ist völlig anders. Wir entwickelten eine eigene Sprache, die von niemandem verstanden wurde. Über die ganzen Jahre gab es eine starke Verbundenheit, die von keinem anderen ersetzt werden konnte – auch in Beziehungen nicht. Aber wir haben diese Zweisamkeit nicht nur als Glück empfunden, waren im Gefängnis unsere eigenen Wärter. Fleisch gewordene Schizophrenie.“ Das Elternhaus habe versucht, die Zwillinge unterschiedlich zu kleiden. „Wollten wir aber nicht, also haben wir wieder die gleichen Klamotten angezogen. Und später zusammen studiert. Wir haben uns ständig selbst erfunden. Besonders im Summer of Love Anfang der 1970er Jahre in Rom.“

Bremer spielte auf das erste Buch des Weissbooks Verlags an, „Die Zwillinge oder Vom Versuch, Geist und Geld zu küssen“, erschienen 2008. Es sei ungeschminkt. „Es ist gesund, mit der Wahrheit so umzugehen“, kommentierte Getty. Die Zwillinge trafen unter anderen Frederico Fellini – und John Paul Getty. „Dieser Sommer war der Verlust von Angst, der Versuch, sich und andere zu entdecken, ein kollektiver Rausch, der irgendwann vorbei war“, schilderte Gisela Getty. „Wir fühlten uns vernetzt.“ Gisela und John Paul heirateten 1974, die Ehe wurde 1993 geschieden. Jutta Winkelmann gründete 1976 mit Rainer Langhans eine Kommune, mit dabei waren Anna Werner und Brigitte Streubel. 1978 kam Christa Ritter hinzu, 1991 Gisela Getty. „Es ist eine schwierige Beziehung mit Rainer Langhans, auch heute noch. Aber wir scheitern uns vorwärts“, sagte Getty. Eifersucht spiele eine große Rolle – auch wenn das nicht so gewollt sei. „Aber wir dürfen uns viel sagen und suchen immer noch“, fügte sie hinzu.

„Früher dachten wir: Sterben, das ist etwas für die Anderen."

„Was ist das richtige Leben? Sterben lernen“, sagte Jutta Winkelmann im Film „Good luck finding yourself (2014), gedreht von ihrem Sohn Severin Winzenburg. „Wir haben schon mit 23 über das Sterben gesprochen. Es ist ein ständiger Prozess des Loslassens. Früher dachten wir: Sterben, das ist etwas für die Anderen. Man selbst denkt, dass man unsterblich ist. Und plötzlich tut der Körper etwas, was man gar nicht will. Hat man irgendwann nicht aufgepasst?“, überlegte Getty laut. Beim ersten Buch sei die Eifersucht zwischen den Zwillingen ausgebrochen, aber das neue Buch von Jutta sei für Gisela nicht schwierig gewesen: „Es ist ihr Buch. Schreiben hilft, man gewinnt Distanz zu sich selbst. Jutta hat ihre eigene Sprache gefunden.“

Jutta Winkelmann hat nicht nur ihre eigene Sprache gefunden, in der sie schonungslos vom Krebs spricht, sie hat auch dem Textteil im Buch einen weiteren Teil mit Comics hinzugefügt. Das Buch, sagte Getty, sei ein Beitrag zur Diskussion über das Sterben, das in der Gesellschaft immer noch tabubehaftet sei. Jutta Winkelmann kann seit Dezember ihr Bett nicht mehr verlassen, sie nimmt keine Nahrung mehr zu sich. Ihre Krankheit ist kein Einzelschicksal. „Wir hoffen, dass das Buch anderen Menschen Kraft gibt“, sagte Getty zum Schluss der Veranstaltung.