„Es gibt die normalen Höhen und Tiefen des Lebens.“ Interview mit Zoodirektor Professor Manfred Niekisch

Professor Manfred Niekisch, Direktor des Frankfurter Zoo: Frösche zieren seinen Schreibtisch. Foto: Faure

Ostend (jf) – Zoodirektor Professor Manfred Niekisch sitzt an seinem Schreibtisch, den viele Frösche zieren. Keine lebendigen Tiere, sondern solche aus Draht, Glas, Ton, Bronze, Papier. Ende des Jahres geht er in den Ruhestand. Im Interview mit dem WochenBlatt erzählt er über besondere Momente seiner Amtszeit, vertrocknete Molche und die Zukunft.

Professor Niekisch, Sie sind seit fast zehn Jahren Zoodirektor. Ende dieses Jahres hören Sie auf. Was ist Ihnen als besonderes Ereignis im Kopf geblieben?

Da gibt es sehr viele Ereignisse. Wir konnten eine ganze Reihe von dringenden und wichtigen Bauvorhaben durchführen, haben Tieranlagen renoviert und aktualisiert. Und es gibt die normalen Höhen und Tiefen des Lebens, das heißt, sehr viele schöne Nachzuchten, aber eben auch einige traurige Todesfälle.

Wie gerade wieder ...

Ja, die Orang-Utan-Dame Djambi. Aber dabei tröstet einen – genauso wie bei unserem Gorilla-Mann Matze oder beim Orang-Mann Charly – dass die Tiere jeweils viel älter geworden sind, als sie in der Natur geworden wären.

Matze war schon etwas Besonderes...

Durchaus, auch weil er das erste Tier war, dessen Tod sich in meiner Amtszeit ereignet hat. Er hat noch den Umzug der Gruppe vom alten ins neue Menschenaffenhaus gemanagt. Und das ist auch etwas, worauf ich stolz bin. Es gab ja Stimmen, die sagten, du musst deine Menschenaffen betäuben und dann rübertragen. Ich habe gesagt: Nein, warum sollen die sich untereinander Schwierigkeiten machen, wenn sie in Stress kommen? Wir bauen denen einen Laufgang.

Wir haben dabei, wie sich nachher herausstellte, völlig überflüssig, Sicherungsmaßnahmen eingeplant. Ich sagte, wenn die Tiere in zwei Tagen nicht freiwillig in der neuen Anlage sind, können wir sie immer noch betäuben. Aber nach vier Stunden war alles erledigt. Dank Matze, der die Gruppe einfach mitgenommen hat. Das war für mich ein ganz herausragendes Erlebnis, nicht nur, weil sich meine Strategie entgegen der Warnungen als erfolgreich erwiesen hat. Als Verhaltensforscher konnte ich mir nicht vorstellen, dass die Affen aufeinander losgehen. Und es war toll, aus diesem schrecklichen alten Affenhaus, in ein modernes umzuziehen.

Es ist viel entstanden in Ihrer Zeit: 2008 der Bogori-Wald, 2009 das Gibbonhaus, 2013 das Ukumari-Land und der neue Eingang. An der neuen Pinguin-Anlage wird mit Hochdruck gearbeitet.

Und dazu viele Dinge, die nicht gleich ins Blickfeld geraten. Zum Beispiel haben wir die katastrophale Beszcger-Toilettenanlage im Untergeschoss des Verwaltungsgebäudes ‚so nebenbei’ mit gemacht, bewusst schön gestaltet mit Tiermotiven an den Wänden. Wir haben seitdem keine Probleme mit Vandalismus oder Schmierereien. Auch der Vorplatz wurde im Zuge der Eingangsgestaltung verbessert und verschönert. Dazu gibt es ein paar Veränderungen, die der Besucher gar nicht wahrnimmt, wie beispielsweise der Neubau der Quarantäne-Station und der Bau des praktisch größten Gebäudes auf dem Gelände, nämlich die Unterkunft für Tiere, die wir aufnehmen oder abgeben wollen. Sie liegt versteckt hinter den Kunstfelsen der Bärenanlage.

Rund 4500 Tiere und 450 Arten gibt es im Zoo Frankfurt.

Tierzählungen sind so eine Sache, bei Kakerlaken und Heuschrecken ist das schwierig. Einen Fischschwarm zählen wir wie ein Tier. Aber Zahlen besagen wenig; 4500 Elefanten sind etwas Anderes als 4500 Blattschneiderameisen – der Aufwand ist höchst unterschiedlich.

Höhen und Tiefen, Freud und Leid gehören zum Zooalltag. Was hat Sie ganz besonders getroffen?

Es ist normal, dass alte Tiere sterben. Aber als ich 2008 – und das war eine meiner ersten Amtshandlungen – entscheiden musste, den Okapi-Bullen Padolo zu töten, weil es einfach nicht mehr ging, ist mir das schon sehr schwer gefallen. Es war aber für mich auch insofern ein Schlüsselerlebnis, weil ich feststellte: Wenn man Dinge der Öffentlichkeit vernünftig erklärt, werden sie auch verstanden. Padolo hatte Schmerzen, war nicht mehr zu heilen. Das hat jeder eingesehen.

Was haben Sie von den Tieren gelernt?

Ich habe nicht erst angefangen, von den Tieren zu lernen, als ich in den Zoo kam. Das Erste, was ich gelernt habe, war: Wenn man Molche nicht richtig gut unterbringt, findet man sie Wochen später vertrocknet unterm Kleiderschrank. Das ist mir als Kind passiert. Ein vertrockneter Molch war für mich ein Alarmsignal; ich musste es besser machen. Die wichtigste Erkenntnis ist, dass man Tiere, zumindest die höheren Wirbeltiere, als Individuen verstehen und ihnen Raum bieten muss, damit sie sich wohlfühlen.

Was wünschen Sie dem Frankfurter Zoo für die Zukunft?

Das jetzt bestehende klare Bekenntnis zu einem Innenstadtzoo sollte konsequent weiterentwickelt werden. Wir haben noch viel Modernisierungsbedarf, selbst wenn wir viel geschafft haben, darunter beispielsweise auch das neue Dach des Exotariums. Für Tiere und Mitarbeiter war das eine ganz dringende Angelegenheit. Das Tempo und die Qualität, mit denen wir in den letzten zehn Jahren Neuerungen einführten, sollten aufrecht erhalten werden.

Also wären noch einmal 30 Millionen Euro an Investitionen wünschenswert?

Ich habe keinerlei Zahlen zur Verfügung, weiß aber, was wir mit 30 Millionen Euro machen konnten und glaube nicht, dass das, was noch alles notwendig ist, mit 30 Millionen Euro zu packen ist. Die Frage hängt natürlich auch mit dem Zeitraum zusammen. Wir müssen unseren Besuchern vor allem auch Tiererlebnisse und Erholung bieten und nicht nur Baustellen.

Sie arbeiten in Frankfurt, wohnen in Bad Homburg. Wird sich der Wohnort ändern?

Ich bin 1983 beruflich als Artenschutzchef zum WWF nach Frankfurt gekommen. Damals fand ich Frankfurt schrecklich. Inzwischen fühle ich mich dort sehr wohl, habe aufgrund meiner Tätigkeit viel mit der Stadtgesellschaft zu tun, denn ein Zoodirektor muss auch nach Außen kommunizieren. Ich komme aus Nürnberg, liebe diese Stadt. Aber dorthin zurückzugehen ist keine Option. Ich bleibe hier.

Was wird aus Ihren zahlreichen Ehrenämtern, wenn Sie nicht mehr in Ihrem Beruf tätig sind? Eigentlich haben Sie Ihr Rentenalter ja schon vor über einem Jahr erreicht...

Der Magistrat hat mein Amt um ein Jahr verlängert, ich habe sehr gerne zugesagt. Es gibt einige wenige Funktionen, die ich inne habe, Vorsitzender des Naturschutzkomitees des Weltzooverbandes WAZA (World Association of Zoos and Aquariums) zum Beispiel. Das fällt dann weg, wenn ich nicht mehr Zoodirektor bin. Viele andere Funktionen, wie beispielsweise die Mitgliedschaft im Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung und im Hessischen Naturschutzbeirat oder auch die Vizepräsidentschaft in der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt werde ich weiter ausüben. Ich freue mich darauf, dass ich mich darauf stärker konzentrieren kann. Ich freue mich aber auch auf ein paar mehr freie Abende und Besuche in unserer tollen Oper.

Sie haben die Welt nahezu vollständig bereist. Sind da noch Wünsche offen geblieben?

Viele Regionen der Erde auf allen Kontinenten habe ich schon besucht und besuche sie gerne wieder. Für mich ist nach wie vor Argentinien ein Traumland: Die Landschaften, meine Freunde dort, der Tango. Auch in Vietnam bin ich gerne. Was mich zum Beispiel noch reizen würde, wäre Kamtschatka. Ich reise immer noch gerne, aber die Unruhe, unbedingt dorthin zu müssen, ist weg. Da genießt man Reisen anders.

Ihr Lieblingstier ist die Gelbbauchunke...

Das ist und bleibt so. Frösche interessieren mich seit frühester Jugend. Ich konnte noch nicht richtig laufen, da habe ich schon mit meinem Vater Frösche und Kaulquappen gefangen und zuhause gehalten. Meine Diplomarbeit habe ich über Kreuz- und Erdkröte gemacht und nebenbei festgestellt, dass vieles, was man über die Gelbbauchunke zu wissen glaubte, nicht stimmen konnte.

Für die Diplomarbeit habe ich mir viele Nächte im März und April bei Regen um die Ohren geschlagen. Da dachte ich: Jetzt nehme ich mir die Gelbbauchunke vor – die ist nämlich auch bei schönem Wetter und tagsüber aktiv. Ich finde die Tiere nach wie vor faszinierend, habe deshalb meine Doktorarbeit darüber geschrieben. Zudem läuft die Gelbbauchunke außerhalb der Zookonkurrenz, meine Zootiere muss ich ja alle gleich lieb haben. Und welches Tier hat schon eine herzförmige Pupille?