BG Kliniken und Lufthansa Aviation Training kooperieren Was die Medizin von der Luftfahrt lernen kann

Matthias Münzberg (von links), Rafaela Korte, Reinhard Hoffmann und Martin Egerth. Foto: Faure

Seckbach (jf) – Bald soll es Kurse für medizinisches Personal im Lufthansa Training and Conference Center Seeheim geben. „Dort, wo schnelles Agieren notwendig ist, sind die Kompetenzen, die Lufthansa mit ihrem Personal trainiert, gefragt“, begründete Dr. Rafaela Korte, Geschäftsführerin der BG Unfallklinik (BGU) Frankfurt die neue Kooperation. „Damit wollen wir unsere Kollegen fördern und die Sicherheit der Patienten noch besser gewährleisten.“

„Bei uns wird das Personal auf den Ernstfall vorbereitet, der in der Luftfahrt selten eintritt, in der Medizin jedoch täglich bewältigt werden muss“, erklärte Martin Egerth, Senior Product Manager Human Factors Training, Lufthansa Aviation Training GmbH (LAT). Es geht um Sicherheit. Doch was versteht man eigentlich darunter? Es geht darum, unfallbedingte Verletzungen oder Schäden zu vermeiden – für die Luftfahrt ist das klar: „Wir haben die Latte mit 10-8 hoch angesetzt. Das bedeutet ein Unfall in hundert Jahren“, verdeutlichte Egerth. 

Es gehe darum, so zu handeln, dass man am Ende erfolgreich ist – meisterhaft habe das Flugkapitän Chesley Sullenberg mit der Notwasserung auf dem Hudsun River am 15. Januar 2009 hinbekommen; alle 155 Menschen an Bord überlebten. „2016 war das bislang sicherste Jahr in der Luftfahrt. Auch, weil technisches, prozedurales und interpersonelles Know How zusammenspielten“, sagte Egerth. Dr. Matthias Münzberg, Leiter Centrum für interdisziplinäre Rettungs- und Notfallmedizin (CiRN) BG Klinik Ludwigshafen, nannte Zahlen: „Bei bis zu 25 Prozent der in einer Klinik aufgenommenen Patienten kommt es zu Zwischenfällen. Diese können verhindert werden, wenn Kommunikation, Teamführung und Entscheidungsfindung stimmen.“

Zeitdruck und mangelnde Kommunikation 

Die Ursachen für Zwischenfälle oder Fehler sind vielfältig; reichen von Zeitdruck, mangelnder Kommunikation über mangelnde Fähigkeiten und Materialfehler bis hin zu steilen Hierarchien. „Wichtig ist die interpersonelle Kompetenz. Deshalb haben wir, die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) und die LAT eigene Kurse ‚Interpersonal Competence’ (IC) entwickelt. Seit August 2017 werden in drei Jahren mehr als 1000 medizinische Fachkräfte der 13 BG Kliniken in Seeheim in über 56 zweitägigen Kursen geschult. Das Training führen ein Arzt und ein Pilot gemeinsam durch. Damit sind wir im Klinik-Bereich Vorreiter.“

Die ersten Kurse seien bereits erfolgreich absolviert worden, die Teilnehmer sprachen positiv über diese neue Weiterbildung, die ihnen helfe, besser mit Stress zurecht zu kommen. „Selbstreflexion ist dabei ebenfalls gefragt“, fügte Egerth hinzu. Wie bei der Lufthansa sei auch in einer Klinik eine gute Personalauswahl mit entscheidend. Eine neue „Safety first“-Kultur müsse sich entwickeln, es dürfe nichts verheimlicht, Regelwidrigkeiten müssten sanktioniert werden. Das funktioniere nur, wenn die Mitarbeiter Verantwortung übernähmen und flache Hierarchien herrschten sowie ein gutes Report-System eingehalten werde, erörterte Egerth.

Weniger Fehler nach Kursen

„Dafür sind motivierte Mitarbeiter notwendig“, fügte der Experte hinzu. „Die sechsstelligen Investitionen in die Kurse rentieren sich, denn es passieren weniger Fehler“, ergänzte Münzberg. „Patientensicherheit ist für uns das höchste Gut. Wir haben gefragt, was die Luftfahrt anders macht, was wir von ihr lernen können. Während in der Luftfahrt viel automatisiert ist, kommt es in der Medizin wesentlich stärker auf Teamarbeit an. Fehler, nicht vorsätzlich falsches Handeln, sind überall möglich, wo Menschen arbeiten“, schaltete sich der Initiator der Kooperation, Prof. Dr. Dr. Reinhard Hoffmann, Ärztlicher Direktor der BGU und Generalsekretär der DGOU, ein.

„Ein kultureller Wandel in den Kliniken ist notwendig“, forderte er. Im Übrigen ist die Kooperation keine einseitige Angelegenheit – auch die Luftfahrt-Experten lernen von den Medizinern. „Wünschenswert wäre natürlich eine Beschäftigung mit diesem Thema bereits in der medizinischen Ausbildung. Doch da sind noch harte Bretter zu bohren. Wir fangen schon einmal mit den Kursen an“, erklärte Rafaela Korte. Bei der Luftfahrt ist das Training mittlerweile weltweit gesetzlich vorgeschrieben.