Zehn Rundgänge durch Frankfurt Neues Buch zum Thema Stolpersteine

Renate Hebauf, Hartmut Schmidt, Regine Wolfart und Volkhard Brandes präsentieren das Buch „Stolpersteine“. Foto: Faure

Nordend (jf) – Großer Andrang im Raum der Gethsemane-Gemeinde, mit so vielen Besuchern hatten die Organisatoren wohl nicht gerechnet. Rasch wurden noch Stühle und Bänke herbeigeschafft. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand das soeben im Verlag Brandes & Apsel erschienene Buch „Stolpersteine in Frankfurt – Zehn Rundgänge“, herausgegeben von der Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main. Verleger Volkhard Brandes war ebenfalls anwesend.

Beatrix Lammert von der Gethsemane-Gemeinde begrüßte die mehr als 70 Gäste: „An diesem Abend werden wir zwei Rundgänge aus dem Buch vorstellen, beide führen durch das Nordend, in dem bislang die meisten Stolpersteine – nahezu 300 – verlegt worden sind.“ Hartmut Schmidt, Vorsitzender der 2003 gegründeten Initiative Stolpersteine Frankfurt, informierte über deren Tätigkeit und bedankte sich bei den Kirchengemeinden, die das Buchprojekt finanziell unterstützten. „In Berlin gibt es die zweimal zwölf Kietzspaziergänge. Die zwei Bände beschäftigen sich mit Stolpersteinen. Diese Publikationen dienten uns als Orientierung“, sagte Schmidt. Und er kündigte an, dass auch für Frankfurt ein zweiter Band geplant sei.

Über tausend Steine wurden bisher in Frankfurt verlegt

Bisher sind in der Mainmetropole 1.114 Stolpersteine verlegt worden. Noch im November 2016 wird der Künstler und Initiator Gunter Demnig erneut an den Main kommen und weitere Steine vor den letzten selbst gewählten Wohnstätten von NS-Opfern in den Gehweg einbringen. Fast 60 000 Steine hat Demnig seit 1995 in 21 europäischen Ländern verlegt. Die ersten drei Steine in Frankfurt wurden am 11. November 2003 im Oberweg für die Familie Kaufmann verlegt. Initiator war damals die Bürgerinitiative Nordend. „Inzwischen treten die an einem Stolperstein interessierten Menschen selbst an uns heran und bitten uns um Unterstützung“, sagte Schmidt.

Regine Wolfart, Mitautorin des Buches, berichtete über vier Steine. Zunächst ging es um Bernhard Becker, geboren 1914, der mit seinem Zwillingsbruder Ludwig bei den Großeltern in der Schwarzburgstraße lebte und nicht aus einer jüdischen Familie stammte. Beide Jungen waren in der Jugend der katholischen Pfarrei St. Bernhard aktiv und stellten sich gegen die Hitlerjugend. Als der mutige Pfarrer Alois Eckert angeklagt wurde, weil er im November 1935 die Beflaggung der Kirche verweigerte, verlor Bernhard Becker ein Vorbild und geistlichen Halt. Ein Wechsel in der Leitung der Gemeinde veranlasste Becker, seine Ämter niederzulegen. Von nun an trafen sich die etwa zehn Jugendlichen, die sich noch um Becker scharten, in dessen Mansarde. Am 27. November 1937 wurde die Gruppe von den Gestapo-Männern Rudolf Thorn und Oswald Müller verhaftet. Beide wurden übrigens nach dem Zweiten Weltkrieg angeklagt.

Meldungen aus dem Publikum

Am 14. Dezember 1937 fand man Bernhard Becker erhängt in seiner Zelle. „Ob durch eigene oder fremde Hand lässt sich nicht mehr klären“, sagte Regine Wolfart. Wolfart, „ein Urgestein der Initiative Stolpersteine“, wie Schmidt formulierte, kümmert sich viel um Euthanasie-Opfer. So recherchierte sie auch das Schicksal von Hermine Stogniew, geborene van Hasseln. Sie war 1898 in Wiesbaden zur Welt gekommen, erkrankte 1924, zwei Jahre nach ihrer Hochzeit, schwer und wurde – Mutter von zwei Kindern – 1930 in die Heilanstalt Hadamar eingewiesen. Später kam sie in die Heilanstalt Herborn. Am 13. Februar 1941 wurde sie zurück nach Hadamar verlegt und noch am selben Tag vergast.

Nach der Schilderung des Schicksals meldete sich ein Mann aus dem Publikum: „Ich möchte ergänzen, dass alle auf dem Transport von Herborn nach Hadamar befindlichen Patienten nach ihrer Ankunft vergast wurden. Das Sterbedatum wurde gefälscht, weil man die Morde vertuschen wollte. Jahrelang habe ich für die Korrektur dieser falschen Eintragungen gekämpft.“ Es war der Neffe von Hermine Stogniew, Gerhard van Hasseln. Neben ihm saß eine Enkelin des Euthanasie-Opfers. Renate Hebauf, die 2010 bereits das Buch „Gaußstraße 14. Ein ‚Ghettohaus’ in Frankfurt am Main“ veröffentlichte, begab sich auf einen zweiten Rundgang. Die Geschichte der Verfolgten und Ermordeten ist noch längst nicht aufgearbeitet.