Sehschule für den Alltag Rauminstallation „en passant“ in der Kunstkulturkirche

Andreas Wörsdörfer mit einem Bildband von Götz Diergarten auf dem „Camino“. Foto: Faure

Ostend (jf) – Das fällt auf: Im Mittelgang der Kunstkulturkirche Allerheiligen gibt es einen seltsamen Pfeilweg. 268 gelbe und orangene Pfeile, die in verschiedene Richtungen zeigen, führen auf einer schmaler werdenden trapezförmigen Fläche hin zum Altar. „Das ist unser Jakobsweg“, erklärt Andreas Wörsdörfer, Pastoralreferent und Koordinator der Kunstkulturkirche, in einer Führung.

Vor ein paar Jahren hat er den Künstler Götz Diergarten kennengelernt, der selbst Ausstellungen, auch in Sakralräumen, konzipiert. Der 1972 in Mannheim Geborene studierte an der Kunstakademie Düsseldorf Freie Kunst und Fotografie, besuchte anschließend die Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich. Seit einigen Jahren lebt und arbeitet Diergarten in Frankfurt.

2013 begab sich der Künstler, der sich intensiv mit Typografie, Fotografie und Alltagskultur beschäftigt, auf den Jakobsweg, genauer auf die nördliche, durch Spanien führende Route, die von Irun nach Santiago de Compostela verläuft. „Das war keine Foto-Tour, Diergarten lief für sich selbst, hatte nur ein Handy dabei. So entstanden im Vorübergehen, en passant, Bilder. Seit zwei Jahren redeten wir über eine Ausstellung. Als Diergarten im Frühjahr 2016 erneut auf den Jakobsweg ging, nahm er wenigstens eine Kleinbildkamera mit“, erzählte Wörsdörfer. Sehr persönliche Aufnahmen sind entstanden, alle Bilder sind zufällige und unbearbeitete Motive.

Große Monitore 150 Fotos

„In seiner Arbeit ist Götz Diergarten sehr sorgsam, stellt nichts, leuchtet nichts aus, wartet stundenlang auf das beste Licht“, erläutert der Kunstkundige. Diergarten erfindet keine Bilder, er findet sie. Das wird auch in den sechs ausliegenden Bildbänden über Rolltreppen, die polnische Stadt Nowa Huta, Strandhäuser, Duderstadt und Passagen deutlich. „Wir haben lange überlegt, was in unserer Kirche gezeigt werden soll“, bemerkt Wörsdörfer. Schließlich sind es auf großen Monitoren rechts und links an der Wand etwa 150 Fotos – rechts die Hochformate, links die Querformate. Die Fotos werden nur in diesem Kirchenraum gezeigt.

Mystische Landschaftsaufnahmen

Nie sind auf den Bildern Menschen zu sehen. Aber viele Details wie Straßenschilder, Balkone, Wäsche auf der Leine, Buchstaben, Laternen, Farbfelder, Türen, Hauswände. Manche Fotos lassen den Betrachter lächeln. Eigentlich untypisch für Diergarten sind auch Landschaftsaufnahmen dabei, die mitunter fast mystisch anmuten. „Es ist eine Sehschule für den Alltag“, sagt Wörsdörfer. Diergarten rückt banale Dinge in den Fokus, zeigt das Individuelle im Uniformen. Die Abfolge der Bilder auf den Monitoren ist dem Zufallsprinzip überlassen – anders als beim Pfeilweg in der Kirchenmitte: Genau nach Wegstrecke geordnet könnte man den „Camino“ in Serpentinen vom Kircheneingang bis vor den Altar nachgehen. Ein Stück Jakobsweg in Allerheiligen.

Am Mittwoch, dem 9. November, findet um 19.30 Uhr ein Themenabend Pilgern der Katholischen Akademie Rabanus Maurus in der Kunstkulturkirche mit Stefan Scholz und Götz Diergarten statt, außerdem gibt es bis zum Ausstellungsende am 5. Februar 2017 noch weitere Veranstaltungen. Unter www.kunstkulturkirche.de sind Details zu finden. Die Installation in der Thüringer Straße 35 ist montags bis samstags von 10 Uhr bis 18 Uhr und sonntags von 14 Uhr bis 18 Uhr zu sehen.