Wie man Kunst begreifen kann Skulpturen zum Anfassen in der Werkstatt-Galerie 37

Heike-Marei Heß, eine Simulationsbrille im Haar, zeigt zwei Skulpturen, die Sehbehinderte schufen. Foto: Faure

Nordend (jf) – Die Ausstellungsreihe „Kunst privat!“ lud in diesem Jahr zum 13. Mal in hessische Unternehmen und Institutionen ein, darunter auch in die Werkstatt-Galerie 37 in der Adlerflychtstraße. Ein besonderer Ort: Der Name bezieht sich auf das Gründungsjahr 1837, in dem die Frankfurter Stiftung für Blinde und Sehbehinderte von der Polytechnischen Gesellschaft ins Leben gerufen wurde.

Der helle, große Raum im linken Gebäude des Gartens verlockte musikalisch zum Eintreten: Manfred Scharpenberg am Schlagzeug, Florian Hollingshaus an der Gitarre und Markus Hofmann am Bass – drei Musiker der seit Jahren bekannten und beliebten Band „Blind Foundation“, interpretierten berührend Easy Listening-Titel wie „You’ve Got A Friend“. Wie passend.

Heike-Marei Heß, Leiterin der Werkstatt-Galerie 37, begrüßte die rund 20 Besucher, die zur ersten Führung gekommen waren. Sie verwies auf den Gründer der Werkstatt und Galerie, Dieter-Josef Bauer, der das Projekt initiierte. Der Maler und Bildhauer (1940 bis 2015) hatte 1983 erste Kontakte zu Blinden und Sehschwachen, ihm zu Ehren werden seine Bilder im ersten Raum ausgestellt.

1988 gründete er die Gruppe 37, aus der ein Jahr später die Werkstatt-Galerie wurde. Heike-Marei Heß informierte zunächst über die Stiftung, die sich seit 180 Jahren um Blinde und Sehschwache kümmert, sie berät, ausbildet und unterstützt und auch mehrere Wohnungen für sie zur Verfügung hat. „Orientierung und Mobilität sowie die Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten stehen für die Stiftung im Vordergrund“, sagte Heß. Über 60 Prozent aller Blinden und Sehbehinderten sind über 65 Jahre alt – sie konnten vorher also sehen, sind nicht von Geburt an blind. Heß kam 1990 zunächst als Praktikantin zur Stiftung – und blieb. Seit 1991 gibt es in der Werkstatt-Galerie Freizeitangebote.

Im Arbeitsraum erklärte Heß Materialien und Werkzeuge. Hauptmaterial ist Speckstein, der überall in der Welt vorkommt und eine große Bandbreite an Farben und Maserungen aufweist. Mit Raspeln, Stockerhämmern und Schleifschwämmen lässt sich der weiche Stein gut bearbeiten, das Ganze ist allerdings eine staubige Angelegenheit. „Sie dürfen das gerne probieren“, forderte Heß die Besucher auf. Auch Alabaster und Sandstein seien gute Materialien. Dieter-Josef Bauer habe übrigens mit einer Augenbinde gearbeitet, um sich stärker in Blinde und Sehschwache hineinzuversetzen. Augenbinden und Brillen mit eingeschränktem Sehfeld lagen bereit – einige Besucher probierten sie auf, setzten sie allerdings schnell wieder ab, zu groß und zu ungewohnt waren die Einschränkungen.

„Früher stritt man über die künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten von Sehbehinderten. Inzwischen haben sich die Meinungen geändert. Das Berührungsverbot in den meisten Museen wird durch Sonderführungen für Blinde und Sehschwache etwas gelockert“, erklärte Heß. Gerade in den 1980er Jahren habe es viele Initiativen gegeben, zum Beispiel besondere Aktionen im Dunkeln, um auf die Lage Blinder und Sehbehinderter hinzuweisen. Der „Dialog im Dunkeln“ entstand in diesen Jahren. „Auch die Technik hat sich weiterentwickelt. Blinde und Sehschwache lieben das Smartphone, sie können den Touch Screen zwar nicht nutzen, aber die Sprachausgabe ist ihnen eine große Hilfe“, erzählte die Werkstattleiterin.

In der Galerie nebenan bewunderten die Besucher die Skulpturen, geschaffen von Menschen mit eingeschränktem Sehsinn. Ganz erstaunliche Köpfe, Tiere, abstrakte Gegenstände sind zu betrachten und zu berühren – darunter der Indianerkopf von Oliver Zaus. Seit Jahren besucht Zaus die Werkstatt, wurde zum Bildhauer und in EDV ausgebildet. Am Tag der offenen Tür kam er mit den Gästen ins Gespräch, erklärte gerne, wie er arbeitet, und beantwortete Fragen.