Im Zeichen des Bösen Tagung der Kinder- und Jugendpsychotherapeuten

Expertengespräch: Martin Rettenberger (von links), Bettina Bretländer, Inés Brock, Marion Schwarz und Michael Schroiff. Foto: jf

Nordend (jf) – Amokläufe, Gewalt gegen Obdachlose, Messerattacken: Die Zeitungen berichten viel über Jugendliche, die ausrasten. So entsteht das Gefühl der Zunahme von Gewalt in dieser Altersgruppe. „Das Thema Gewalt ist allgegenwärtig, plötzlich kommt es im Alltag an die Oberfläche“, sagte Diplom-Heilpädagoge Michael Schroiff (Tagungsorganisation) auf einem Pressegespräch vor der Fachtagung der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten an der Frankfurt University of Applied Sciences.

„Feindseligkeit und Intoleranz anderen gegenüber wird zunehmend spürbar. Doch das Thema ‚Gewalt’ ist tief mit der Entwicklung der Jugendlichen verbunden und stellt uns vor die Frage, wie wir damit umgehen und welche Tendenzen wir beeinflussen können.“ Dazu sei ein differenziertes Herangehen erforderlich. „Gewalt wird instrumentalisiert und politisch“, stellte Schroiff fest. „Wir müssen den roten Faden aufnehmen, Gewalt verstehen, ihre Ursachen finden, gemeinsam diskutieren und zu entsprechenden Resultaten kommen“, wünschte sich Dr. Inés Brock, Magdeburger Ausbildungsinstitut für Psychotherapeutische Psychologie.„Eine differenzierte Sichtweise ist meine Aufgabe als Kriminologe“, schaltete sich Dr. Martin Rettenberger, Direktor der Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden, ein. Dabei seien sowohl die Entwicklungen in der Gesellschaft als auch die Einzeltaten zu betrachten.

Straftaten sind rückläufig

„Es gibt keinen Grund zur Panik“, beruhigte er und legte Zahlen vor: Die Kriminalitätsrate sank in den letzten 600 Jahren in England, den Niederlanden, in Skandinavien, Deutschland und Italien. Während Straftaten von Jugendlichen bis 25 Jahren zwischen 1990 und 2004 zunahmen, sind diese Zahlen nun rückläufig. „Weil wir mit Jugendlichen über Gewalt reden, gibt es ein besseres Verständnis, wie es dazu kommt“, äußerte Rettenberger.

Diplom-Psychologin Marion Schwarz, Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinder- und und Jugendlichen-Psychotherapeuten (bkj), bemerkte: „Seit 2001 besteht in Deutschland das Gewaltverbot in der Erziehung. Vielleicht hat das auch nicht unwesentlich zum Rückgang von Gewalt beigetragen. Aber wir stellen fest, dass die Gewalt Kindern gegenüber enorme Auswirkungen hat – je jünger sie sind, desto schlimmer. Das Risiko, selbst gewalttätig zu werden, ist in solchen Verhältnissen groß.“

Berichterstattung hat sich geändert

„Natürlich besteht eine Diskrepanz zwischen gefühlter und statistisch nachgewiesener Gewalt. Daran hat auch die Berichterstattung in den Medien einen großen Anteil. Entscheidend ist dabei das Bildmaterial, das ständig zur Verfügung steht. Sicher hat sich die Berichterstattung in den letzten Jahren geändert. Aber damit werden auch Dinge in den Fokus gerückt, die früher unbeachtet geblieben wären. Zudem wird die Grenze für Gewalt niedriger angesetzt, was früher nicht interessierte, wird heute wahrgenommen“, sagte Rettenberger. „Die Gewaltausbrüche sind vielfältig, sie sind auch in sozialen Netzwerken zu beobachten – denken wir nur an Cybermobbing“, ergänzte Schroiff.