Erfahrungen weitergeben an der BG Unfallklinik Verein unterstützt beim Leben mit Querschnittslähmung

Die Peers (von links) Jean-Marc Clément und Stephan Korth im Gespräch mit den noch nicht so lang im Rollstuhl sitzenden Nils Schwab und Thorsten Ren. Foto: Faure

Seckbach (jf) – Vortragssaal der Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik (BGU), kurz vor Präsentation eines neuen Projekts. Nils Schwab ist 29, hat wellige rot-blonde Haare, hellwache Augen und sitzt im Rollstuhl. „Sportunfall. Ist letzten Sommer beim Paragliding in den Vogesen passiert“, antwortete er auf vorsichtige Nachfrage. Doch as Projekt Peer Counseling der BGU hilft ihm.  Dabei werden frisch Betroffene von erfahrenen Betroffenen beraten. 

Bei Nils Schwab war der dritte Lendenwirbel gebrochen, das Rückenmark verletzt, außerdem wurden Becken- und Oberschenkelbrüche und ein Lungentrauma diagnostiziert. Die erste Versorgung erhielt Schwab im französischen Colmar, die Behandlung wurde in Strasbourg fortgesetzt, dann ging es mit dem Krankenwagen zu Schwabs Wohnort Frankfurt und da in die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik (BGU). „Die Fahrt war ziemlich anstrengend“, erinnert sich Schwab. Drei Mal wurde der Sportler in der BGU operiert, lag auch in dieser Klinik auf Intensivstation.

Seit Juli 2017 sitzt Nils Schwab im Rollstuhl. „Ich hoffe, dass ich in zwei bis drei Monaten entlassen werden kann, der Umbau der Wohnung steht noch an. Die Beinfunktion konnte erhalten werden, zurzeit übe ich Treppenlaufen und Bewegung mit dem Rollator. Ich wünsche mir, dass ich wieder kurze bis mittlere Wege zu Fuß bewältigen kann“, sagt Schwab ziemlich optimistisch. Der Ingenieur auf dem Gebiet Verfahrenstechnik wird von seinem Betrieb unterstützt, die Firma signalisierte: Wir nehmen dich gerne zurück. Dazu benötigt Schwab ein auf Handgas umgerüstetes Auto, um von Frankfurt nach Alzey zu kommen. Wer dafür die Kosten übernimmt, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar – eine von vielen Fragen, die querschnittsgelähmte Patienten umtreibt.

Betroffene beraten Betroffene

Um bei solchen Fragen weiterzuhelfen, startete die Fördergemeinschaft der Querschnittsgelähmten in Deutschland (FGQ) an der BGU das Projekt Peer Counseling; frisch Betroffene werden von erfahrenen Betroffenen beraten. „Wir merken, dass wir, die Ärzte, Pfleger, Therapeuten, beraten können. Doch das Gespräch mit erfahrenen ehemaligen Patienten hat nochmal einen ganz anderen Stellenwert“, sagte Dr. Rafaela Korte, Geschäftsführerin der BGU. 2016 versorgte das BG-Querschnittszentrum 35 neue Patienten, 2017 waren es 38. „Das ist viel für dieses Zentrum, das einzige im Rhein-Main-Gebiet“, urteilte Korte.

Durchschnittlich 140 Tage bleiben die Patienten nach einer Rückenmarkverletzung in der Klinik. Bei 35 Prozent der mit einer solchen Diagnose Eingelieferten sind Arbeitsunfälle die Ursache, 70 Prozent der Querschnittslähmungen betreffen Männer. Das Durchschnittsalter der Patienten beträgt 60 Jahre: „Patienten werden allgemein immer älter“, erklärte Dr. Oswald Marcus, Chefarzt der Abteilung für Rückenmarkverletzte. Kevin Schultes, Mitglied des Vorstandes der 1981 gegründeten FGQ, fasst die Aufgaben des gemeinnützigen Vereins knapp zusammen: Informieren, Helfen, Fördern. „Es geht vor allem darum, die Selbstständigkeit der Betroffenen zu unterstützen. So haben wir verschiedene Arbeitsgemeinschaften, beispielsweise eine mit selbst betroffenen Architekten, die bei der Umgestaltung der Wohnung helfen.

Ansprechpartner arbeiten ehrenamtlich

Rechtsanwälte und Sozialarbeiter kümmern sich um Leistungsansprüche. Und Peer Counseling ist ein wichtiger Baustein in unserem bundesweit einzigartigen Netzwerk“, erklärte Schultes. Schon von Anfang an wurden die Erfahrungen von Betroffenen in Gesprächen mit frisch Verletzten genutzt, nun wird das Thema stufenweise professionalisiert und strukturiert. In Frankfurt stehen den seit Kurzem am Rückenmark Verletzten vier männliche und eine weibliche seit längerem Betroffene als Ansprechpartner zur Verfügung, alles geschieht auf freiwilliger und ehrenamtlicher Basis. Aber: „Peers können sich nun bei der FGQ bewerben, werden befragt und geschult und regelmäßig fortgebildet, außerdem findet eine Auswertung der Treffen statt“, fügte Schultes hinzu. Peer Counseling ist ein lebenslanges Angebot, allerdings sollen in einem bestimmten Zeitraum Ziele, die miteinander besprochen werden, erreichbar sein.

„Jean-Marc, du tanzt besser als ich“, nahm Oswald Marcus den Gesprächsfaden auf und wandte sich an Jean-Marc Clément, zwölffacher Deutscher Meister im Kombitanz, einer Sportart, bei der einer der Partner im Rollstuhl sitzt. „Ich habe in der BGU vor rund 30 Jahren Tanzen gelernt, es hat ein Jahr gedauert. Der Rollstuhl-Tanz war eines von mehreren Angeboten in der Klinik. Doch nicht das Tanzen war dabei für mich das Wichtigste; man kam mit anderen Patienten ins Gespräch. Nun will ich meine Erfahrungen gerne weitergeben“, erklärte Clément.

Persönliches Gespräch wichtiger als Internetrecherche

Seit 40 Jahren sitzt Stephan Korth im Rollstuhl, er ist ein international erfolgreicher Sportschütze. „Klar fällt man nach der Diagnose erst einmal in ein Loch. Früher war vieles nicht möglich, heute sind wir weiter, manches ist leichter geworden. Man kann sich im Internet informieren, aber das ersetzt kein persönliches Gespräch.“ Wichtig, so antwortete Oswald Marcus auf eine Zwischenbemerkung von Prof. Dr. Dr. Heinrich Hoffmann, Ärztlicher Direktor, sei auch das Gespräch mit den Angehörigen. „Oft fallen die Angehörigen eher in eine Depression als der Verletzte“, merkte der Experte an. Das ist ein weiteres Thema im Blickfeld der FGQ.