Die Raibacher Dorfgemeinschaft ist so gefestigt, dass sie auch ein Kelterfest fast ohne Äpfel rettet Menge schlecht, Qualität klasse

Buntes Kelterfest an der Alten Schule: In Raibach wurde die schmale Apfelernte am Wochenende verzehrt. Den Arbeitsprozess von der Zinkbütt in die Kelter stemmten kleine Erntehelfer.   Foto: zah

Groß-Umstadt/Raibach (zah) – Ein Kelterfest ohne Äpfel? Nicht mit der Raibacher Dorf AG! Sie sammelte eifrig, und schließlich gab es doch einiges an Most.

Väterchen Frost hat zugeschlagen: Eine eisige Aprilnacht vernichtete viele Blüten am Obstgehölz, vornehmlich an Apfelbäumen. Eine Konsequenz: Das 10. Raibacher Kelterfest drohte ins Wasser zu fallen. Mit einem Spendenaufruf an die nur knapp über 900 Einwohner des beschaulichen Ortsteils begannen die Vorbereitungen zum Fest.

Das Ergebnis an zwei Feiertagen war überwältigend.

Am Wochenende wurde die handbetriebene Kelter vor der Alten Raibacher Schule zwar nicht nonstop gefüllt, doch es rann eine ordentliche Menge süßen Mosts in die Kanister. Auch für den Apfelbrei, der zu den Raibacher Reibekuchen gehört, reichte die Menge. „Die Raibacher Dorf AG hat am Mittwoch und Donnerstag gelesen“, so Matthias Frieß, „am Freitag begann an der Schule der Aufbau, und aus 150 Kilogramm Äpfeln wurde der Apfelbrei gekocht.“ Fazit der Erntehelfer: Menge schlecht, Qualität klasse.

Die Dorf AG und ihr Kelterfest sind Überbleibsel aus jener Zeit, als Raibach vor rund zehn Jahren im Landeswettstreit „Unser Dorf hat Zukunft“ um den Sieg rang. Der blieb zwar aus – doch gewonnen hat die Dorfgemeinschaft trotzdem.

Vor allem an Zusammenhalt. Und Vielfalt. Die afghanischen Flüchtlinge, die in den oberen Geschossen der Dorfschule leben, packten selbstverständlich mit an, wuschen Äpfel und Teller, servierten ein aromatisches Landesgericht, kurzum, waren mittendrin im Festbetrieb, den die Dorf AG mit ihren Helfern stemmte. „Alle sind dabei und gehören dazu“, so Ortsvorsteherin Claudia Harms begeistert. Als die Flüchtlinge nach Raibach kamen, dazu noch in der Alten Schule einquartiert, gab es auch kritische Töne. Doch beide Seiten, so erlebten es Festbesucher, sind aufeinander zugegangen. Die einen, mit dem Willen zur Integration, die anderen mit Willkommenskultur. Aktuell leben 45 Flüchtlinge in zwei Raibacher Häusern.

Ungebrochen ist der Wunsch, die Alte Schule als Dorfgemeinschaftshaus zu nutzen. „Das Erdgeschoss würde uns ja reichen“, so Matthias Frieß, der das Kelterfest gemeinsam mit Ralf Rau erfunden hat.

Im Parterre der Schule schlummert das Ortsarchiv, das an beiden Festtagen geöffnet wurde. Hier durften Besucher ins Urkataster schauen, alte mit neuen Plänen vergleichen, Akten und Fotos einsehen. „Das Archiv soll digitalisiert werden“, so die Ortsvorsteherin – das gibt also Hoffnung für die Ortsgemeinschaft, doch noch ins Parterre einzuziehen.

Das Archiv, vor allem jedoch die Menschen im kleinen Ortsteil bieten Barbara Waldkirch (68) ein unerschöpfliches Revier, wo sie ihrem Hunger nach historischen Geschichten Nahrung gibt. Die passionierte Heimatforscherin will irgendwann ein Buch verfassen, vielleicht werden es sogar mehrere erklärt sie munter. „Aus Raibach fliegen viele aus und kommen wieder. Auch ich bin eine Rückkehrerin.“ Warum? „Das bringt die Gemeinschaft hier hervor“, sagt die Naturwissenschaftlerin lächelnd. Seit vier Jahren betreibt Barbara Waldkirch ihre Forschungen, sammelt Anekdoten, Geschichten, Erinnerungen.

Claudia Harms ist zugezogen.

Schnell war klar: „Hier soll mein Kind aufwachsen. Und hier will ich alt werden“, so die 44-jährige Ortsvorsteherin, die im Außendienst für Labormedizin tätig ist. Politisch engagiert war sie nie. Die Verantwortung als Ortsvorsteherin hat sie dennoch übernommen, für Raibach, seine Menschen und ihre neue Heimat.