Niki de Saint Phalles Werke als Ausstellung in der Schirn Groß, laut, verstörend und mitreißend

Sebastian Baden und Katharina Dohm führen in die Ausstellung ein. F.: jf

Altstadt (jf) – Eine Sphinx mit blauem Gesicht, blauem Haar und riesigen Brüsten, beide verschieden bunt bemalt. Knallbunt sind auch die Zehen des Fabeltieres, dazwischen wachsen Sträucher und Bäume. Diese Herrscherin oder Kaiserin war sieben Jahre lang Wohn- und Arbeitsort für Niki de Saint Phalle. Die Skulptur ist eine von mehr als 22 Figuren im Tarotgarten der Künstlerin in Garavicchio in der südlichen Toskana. Dieser Garten ist das Lebenswerk von de Saint Phalle. 1930 in der Nähe von Paris geboren wächst sie in den Vereinigten Staaten auf, besucht eine Klosterschule. 1948 modelt sie für „Elle“ und „Vogue“, heiratet den Autor Harry Mathews. 1951 wird Tochter Laura geboren, ‘52 zieht die Familie nach Paris, ‘55 kommt Sohn Philip zur Welt.

Nach einem Nervenzusammenbruch ‘53 beginnt Niki de Saint Phalle zu malen. „Ich bin Künstlerin geworden, weil ich keine Wahl hatte, ich brauchte also keine Entscheidung zu treffen. Es war mein Schicksal […]. Ich habe die Kunst als meine Erlösung und als eine Notwendigkeit angenommen.“ Dieses Zitat steht an der Wand zum Eingang in die Ausstellung „Niki de Saint Phalle“ in der Schirn Kunsthalle. Mit etwa 100 Werken aus rund 50 Jahren bietet das Haus nun einen Überblick auf das vielfältige Œuvre der Künstlerin, einer Autodidaktin. „Sie war eine Pionierin. Schauen Sie sich die Rückseite des Katalogs an: Niki de Saint Phalle posiert in ihrem weißen Schießanzug vor dem von ihr angefertigten Bild der Kathedrale Notre Dame de Paris, das auf einer Staffelei steht. Im Hintergrund erhebt sich die reale Notre Dame. De Saint Phalle hat ein Gewehr in der Hand, blickt in die Kamera und lässt keinen Zweifel: „Sie wird auf ihr Bild schießen“, erklärt Schirn-Direktor Sebastian Baden.

Die Schießbilder der frühen 1960er-Jahre drücken eine unglaubliche Wut aus. Doch es ist weit mehr als Freude an Zerstörung. In Happenings lädt sie andere Künstler und das Publikum mit ein, auf ihre Bilder zu schießen, öffnet so Schranken zwischen Künstlerin und Zuschauern. Die Bilder bestehen aus im Gips versteckten Farbbeuteln. Beschossen, geben sie die Farbe frei, haben Wunden, bluten, werden neu. Tod und Leben.

In ihren Assemblagen verwendet de Saint Phalle Fundstücke, gerne Keramik, Glas, Metall. Sie zeichnet, schreibt, dreht Filme, ersinnt Theaterstücke, erprobt sich in Installationen und Performances. Nanas, rundliche, bunte Frauenfiguren mit großen Brüsten, schweren Hüften und Hintern, die trotz ihrer Stattlichkeit leichtfüßig und heiter daher kommen, sind zum Markenzeichen geworden. Doch de Saint Phalle darauf zu reduzieren, wäre zu kurz gefasst. Ihre größte Figur, Hon, (schwedisch für „Sie“) war 25 Meter lang, neun Meter breit und sechs Meter hoch. Die Superfrau von Stockholm stand ‘66 drei Monate lang im Moderna Museet und konnte durch die Vulva betreten werden. Frauen-Power von Niki de Saint Phalle. Die Künstlerin wehrt sich gegen verkrustete Gesellschaftsstrukturen, gegen Rollenbilder, gegen Schubladen. ‘60 verlässt sie Mann und Kinder, um künstlerisch arbeiten zu können. De Saint Phalle lernt den Kreis der Nouveaux Réalistes um Pierre Restany, Yves Klein Christo und Jean Tinguely kennen, lebt schließlich mit Tinguely zusammen. Eine Beziehung, die künstlerisch für beide inspirierend ist, aber auch schwierig und brüchig. Gemeinsam schaffen sie 1982/83 beispielsweise den Strawinsky-Brunnen am Centre Georges Pompidou in Paris.

Die Kunststoffe, Farben und Lacke verursachen bei de Saint Phalle Atemwegserkrankungen. Dennoch gibt sie nicht auf, arbeitet weiter am Tarotgarten, finanziert ihn mit Grafik- und Skulpturenserien; kreiert einen Parfüm-Flakon mit bunten, ineinander verschlungenen Schlangen.

De Saint Phalle klärt 1986 mit einem Buch über AIDS auf, wendet sich gegen Krieg und Unrecht. ‘91 stirbt Tinguely, ‘93 zieht die Künstlerin aus gesundheitlichen Gründen nach Kalifornien. ‘94 veröffentlicht de Saint Phalle eine Autobiografie und schreibt über den Missbrauch durch ihren Vater. Sie stirbt am 21. Mai 2002.

Enkelin Bloum Condominas war zur Eröffnung der Exposition in der Schirn, ist stolz auf ihre radikale Großmutter. Die Ausstellung mit viel Begleitprogramm ist bis 21. Mai zu sehen.