Ein Besuch der Ausstellung „Bewegte Zeiten“ im Karmeliterkloster Hippies, U-Bahn und Proteste: So waren die 60er-Jahre in Frankfurt

Kurator Markus Häfner erzählt anschaulich vom U-Bahnbau. Ein Flyer warnt vor dem Ostermarsch. Foto: Drusche

Altstadt (jdr) – Demos für bessere Bildung, Emanzipation und gegen Notstandsgesetze, Fluglärm und den Vietnamkrieg prägten das Stadtbild der 60er-Jahre in Frankfurt. 

Studenten protestierten, man ging auf die Straße für eine 40-Stunden-Arbeitswoche und bessere Bezahlung. Und es war dringend an der Zeit, die NS-Vergangenheit aufzuarbeiten, die Gräueltaten ins Bewusstsein zu rücken und die Täter zu bestrafen. US-Präsident Kennedy besuchte gemeinsam mit Bundeskanzler Ludwig Erhard den Römer und wurde von 150.000 Bürgern umjubelt wie ein Rockstar. Zeitgleich lauschte die Jugend den Beatles, Jimi Hendrix und Udo Jürgens, der als Neffe des derzeitigen Bürgermeisters Werner Bockelmann eine starke Verbindung zur Mainmetropole hatte. Die U-Bahn wurde gebaut und moderne Baugebiete – wie die Nordweststadt – entstanden, um der Wohnungsnot endlich ein Ende zu bereiten.

Das Institut für Stadtgeschichte im Karmeliterkloster, Münzgasse 9, widmet sich seit einem Jahr den 60er-Jahren mit der Ausstellung „Bewegte Zeiten“. Jetzt kann sie wieder besucht werden. Damals befand sich Frankfurt nach dem Wirtschaftswunder im Aufbruch. Diverse Themen präsentiert die Schau mit vielen Objekten und Fotos des eigenen Archivbestands. Medienterminals ergänzen um Ereignisse und Eindrücke: Besucher können Filme ansehen, etwa den gespulten Ausblick einer Umrundung des Henninger-Turms.

Weiterhin stehen vor Ort, aber auch online Archive und Datenbanken zur eigenen Recherche zur Verfügung. Die Ausstellung ist farbenfroh gestaltet, zeigt die 60er in all ihren Facetten. „In diesem Jahrzehnt hat sich so vieles gewandelt. Es war eine bunte Zeit – und das wollten wir auch farblich darstellen“, sagt Kurator Markus Häfner. „Bewegte Zeiten: Frankfurt in den 1960er-Jahren“ – ein Begleitbuch dazu ist im Societäts-Verlag erschienen (ISBN: 978-3-95542-375-9) – bündelt die verschiedenen Aspekte dieser Zeit. Auch geht es um (Jugend-)Kultur und Politik – die SPD hatte die absolute Oberhand –, Wirtschaft und Sport: So finden sich vor Ort Plakate, die Muhammad Alis Box-Kampf im Waldstadion ankündigen oder das Kinoprogramm, in dem nicht mehr nur Western und Hitchcockfilme beworben werden, sondern auch Oswalt Kolle mit seiner Aufklärung, Erotik und sexuelle Emanzipation sowie Revolution.

Lieber Schlager als Rock

So wird der Streifen „Siebenmal lockt das Weib“ mit Shirley MacLaine etwa mit dem Slogan angekündigt: „Unglaublich! Ihre Beine beginnen schon bei den Schultern!“ Es geht um den Siegeszug des Fernsehens und Theatervorführungen, die plötzlich auch ein junges, politisches Publikum zu den Städtischen Bühnen und ins Theater am Turm ziehen. Musikalisch verbindet sich das Lokale mit dem Internationalen. Es gibt eine rege Jazz- und Beatszene in Frankfurt, aber Schlagersänger laufen Rockstars den Rang ab. Durch Kataloge wie Neckermann kehrt ein neuer Wohlstand ein: Nie war es so leicht, jedes Konsumgut zu bekommen, was das Herz begehrt. Gastarbeiter werden eingespannt. Man wehrt sich gegen den Flughafenausbau und die Startbahn West.

Die Ausstellung zeigt Bilder von Studentenrevolten und dem brutalen Vorgehen der Polizei gegen die Demonstranten. Es geht um Cohn-Bendit, den Tod Benno Ohnesorgs und den Anschlag auf Studentenführer Rudi Dutschke, der öfter in Frankfurt auftrat. Die Ostermärsche mit Statements wie „Stoppt den Faschismus!“ und „Herunter mit den Rüstungsetats!“ finden statt, während Springerpresse, Bundesregierung und Bundesminister Franz Josef Strauß eben davor warnen. Es entstehen politische Bewegungen abseits von Parteien, wie die Außerparlamentarische Opposition Apo.

Die philosophische Frankfurter Schule um Jürgen Habermas und Theodor Adorno findet viele Anhänger, hat aber auch das „Busenattentat“ zur Folge. Später resultiert aus den Ereignissen auch der Häuserkampf der Spontiszene im Westend. Jurist Fritz Bauer leitet von 63 bis 65 die Frankfurter Auschwitzprozesse, verhört hunderte von Zeugen, schafft damit endlich großes öffentliches Interesse an der Vergangenheit und sorgt für Buße. Doch das ist längst nicht alles, was in den 60er-Jahren in Frankfurt passiert ist. Es waren sehr „Bewegte Zeiten“, in denen noch altbackene Gepflogenheiten sowie Prüderie auf modernen Aufwind und Aufstand trafen. Ohne dieses Jahrzehnt, wären wir heute nicht da, wo wir eben nun sind.

Davon erzählt die Ausstellung im Karmeliterkloster noch bis Mitte September bei freiem Eintritt. Für den Besuch ist eine Anmeldung für ein zweistündiges Zeitfenster (Montag bis Freitag, zehn bis 18, Samstag und Sonntag, elf bis 18 Uhr) unter Z (069) 21238425 nötig. Einstündige Führungen geben Kurator Markus Häfner oder Kristina Matron, etwa wieder dienstags, 20. Juli und 17. August, je um 18 Uhr. Reservierungen sind auf pretix.eu/isgfrankfurt/bewegtezeiten-2021 möglich. Derzeit ist kein Corona-Negativtest nötig, es gelten die AHA-Regeln. Weitere Infos sowie ein breites digitales Angebot gibt es auf stadtgeschichte-ffm.de unter der Rubrik „Ausstellungen“.