Auf Entdeckungsreise in den Frankfurter Stadtteilen Sindlingen: Dorf-Idylle nahe der Industrie

Richtung Mainufer geht es an der SEVA vorbei.

Frankfurt (sh) – Nennt man einen Frankfurter Stadtteil, hat fast jeder ein bestimmtes Wahrzeichen, etwas für den Stadtteil Typisches oder auch ein Klischee vor Augen. Redakteurin Sabine Hagemann hat die Frankfurter Stadtteile besucht, sie erlaufen, auf sich wirken lassen und sich umgeschaut, was es dort neben den üblichen Sehenswürdigkeiten noch so gibt.

Vor einigen Jahren hatte ich zur Berichterstattung die Sindlinger Glückswiese, ein Lebenshof für gerettete Tiere mit umfangreichem Freizeitangebot für Kinder, besucht. Also wusste ich schon mal, dass mich diese Tour sehr weit in den Westen Frankfurts verschlagen würde.

Ich komme mit der S1 in Sindlingen an, man kann aber auch die S-Bahn-Station Zeilsheim (S2) ansteuern, denn die beiden Bahnhöfe liegen nur einen rund siebenminütigen Fußweg auseinander. Die Bahnlinie, auf der die S1 fährt, teilt Sindlingen in Nord und Süd. Am Ankunftsort befinden sich der Richard-Weidlich-Platz und das Haus Sindlingen. Erbaut wurde es 1961 und war damit eines der ersten Stadtteil-Bürgerhäuser in Deutschland. Das Veranstaltungsgebäude hat eine bewegte Geschichte: Von 1973 bis 1974 fanden dort Prozesse gegen Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) statt. 1979 hielt dort die „Sonstige Politische Vereinigung/Die Grünen“ ihre erste Bundesversammlung ab und fasste danach den Beschluss zur Parteigründung. Optisch hübscher als das wuchtige Bürgerhaus ist der Entenbrunnen auf dem Platz, den der Namensgeber Richard Weidlich (langjähriger Direktor der Farbwerke Höchst und Stadtrat) gestiftet hat. Die naturnahen Bronze-Enten schuf der Tierplastiker August Gaul.

Zunächst einmal schaue ich mich ein bisschen nördlich der Bahnstrecke um. Wohnhäuser, zum Teil bunt gestrichen – unter anderem ist „Paulinchen“ aus dem „Struwwelpeter“ an der Fassade zu sehen – prägen dort das Bild; Kinder toben auf dem „Ampel-Spielplatz“. Ich folge der Albert-Blank-Straße, die auf die „Straße zur Internationalen Schule“ trifft. Die Straße führt, wie der Name vermuten lässt, zur International School Frankfurt Rhein-Main (ISF), einer privaten Ganztagsschule mit Kindergarten. Umgeben ist die Einrichtung von Feldern. Ich folge der Straße aber in der entgegengesetzten Richtung und quere die Gleise der Bahnstrecke, um in den Süden Sindlingens zu gelangen.

Über die Höchster-Farben-Straße und die Westenbergerstraße erreiche ich den Sindlinger Friedhof. Beeindruckend sind die Statue des trauernden Kriegers mit Schwert auf dem Kriegsgräberfeld sowie die hübsche Toranlage am Eingang an der Farbenstraße. Die Farbenstraße umläuft den Friedhof und endet vor dem Industriepark Höchst. Sie war früher einmal die Hauptverkehrsstraße des Orts und Teil der Mainzer Landstraße. Sie verlief mitten durch das Werksgelände der Höchst AG, bis diese Verbindung in den 50er Jahren für die Allgemeinheit geschlossen wurde. Als Ersatz wurde die Höchster-Farben-Straße gebaut, die am Werksgelände vorbeiführt. Ich begebe mich auf die Okrifteler Straße. Kurz bevor die Straße unter der B40 hindurchführt, geht es links in die Mockstädter Straße zur Sporthalle des TV Sindlingen. Südlich der Bundesstraße sind der Reiter- und Lernbauernhof Ponyzwerge und die eingangs erwähnte Glückswiese, die ebenfalls Reit-Aktionen im Programm hat, zuhause.

Für mich geht es jetzt Richtung Mainufer, wo ich die Abwasserreinigungsanlage ARA und die Schlammentwässerungs- und Verbrennungsanlage SEVA der Stadtentwässerung Frankfurt umrunde. Am Mainufer entlang – auf der anderen Seite spiegelt sich das Panorama von Kelsterbach im Wasser – spaziere ich unter der Sindlinger Mainbrücke, der untersten Brücke Frankfurts hindurch und genieße wenig später den Blick auf die Werksbrücke West mit ihren markanten Schrägseilen an der Grenze des Industrieparks Höchst.

Ich steuere über Alt-Sindlingen den beschaulichen Ortskern an und schlendere durch verwinkelte Gässchen, vorbei an urigen Häuschen, von denen etwa 150 unter Denkmalschutz stehen. An der Huthmacherstraße Ecke Ranzengasse befindet sich der Ranzenplatzbrunnen, ein ehemaliger Ziehbrunnen, der 1823 in einen Pumpenbrunnen umgewandelt wurde. 1912 wurde der Brunnen nach Höchst überführt, aber 1978 aufgrund einer Initiative von Sindlinger Bürgern wieder an seinen ursprünglichen Platz zurückgeholt. Ein weiterer Pumpenbrunnen steht vor der katholischen Pfarrkirche St. Dionysius.

Über die Weinbergstraße mache ich mich auf den Weg zum Meisterpark mit der berühmten Villa Meister, erbaut vom Mitbegründer der Farbwerke Höchst. In der Villa war zuletzt ein Rehabilitationszentrum für Suchtkranke untergebracht. Der Park verfügt über Orangerie sowie Stallungen und war die Heimat des Reitervereins Sindlingen. Der ursprünglich öffentlich zugängliche Park ist derzeit geschlossen. Ich erfahre, dass die Erbengemeinschaft das Anwesen 2019 an eine Immobiliengesellschaft verkauft hat, die die historischen Gebäude sanieren und dort zusätzlichen Wohnraum schaffen möchte. Nach Abschluss der Bauarbeiten soll der Park dann auch wieder für die Bürger geöffnet werden. Der Reiterverein hat ein neues Zuhause in Liederbach gefunden.

Nachdem ich einen Blick auf die evangelische Kirche an der Sindlinger Bahnstraße Ecke Gustavsgasse geworfen und den spitzen, viereckigen Turm mit den vier kleinen Türmchen auf dem Dach bewundert habe, mache ich mich wieder auf den Heimweg – überrascht darüber, was es in Sindlingen alles zu entdecken gab.

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