In den ersten vier Lebensjahren Odyssee mit der Familie Arian schildert ihre persönlichen Erlebnisse

Ihr Roman „Attan“ (Drehung des Lebens) ist nach einem afghanisschen Tanz benannt. Arian Anwari stellte bei ihrer Lesung im Kleinkunstsaal den Tanz vor. Foto: Prochnow

Obertshausen (m) - Man schreibt April 1992. Hunger und Gewalt herrschen in Afghanistan. In Kabul kämpfen Milizen gegen die Zentralregierung, stundenlang fliegen Raketen über das Haus der Anwaris. „Flieht so lange ihr könnt!“, rufen die Nachbarn herüber. Arian ist gerade ein paar Wochen alt, als ihre Familie mit ihr Hals über Kopf zu einem Fußmarsch durch kalten Regen und knöcheltiefen Schlamm aufbricht. Heute ist sie 25 und stellt das Buch über ihren Weg in den Westen vor.

Viele Einzelheiten ihrer Flucht erfuhr sie erst durch das Schreiben. Immer wieder befragte sie ihre Eltern und die älteren Geschwister. Was sie dabei hörte, verschlug ihr oft die Sprache, erzählt die Egelsbacherin im Kleinkunstsaal. Dorthin haben die SPD und der Büchertreff die junge Autorin eingeladen, ihr Werk vorzustellen. Es heißt wie ein Tanz aus der Heimat: „Attan - die Drehung des Lebens“. Die Schilderungen der jungen Frau gehen unter die Haut. Sie berichtet von Geschossen, die mit ohrenbetäubenden Lärm in Häuser einschlagen, von ihrem Vater, der das Fahrrad durch den Matsch schiebt, bis sie das Haus des Onkels erreichen. Nach zwei Tagen kehren sie zurück, obwohl die Luftkämpfe zugenommen haben, das eigene Haus verwüstet ist. Ein Brot am Tag muss für fünf hungrige Mägen reichen.

Im vergangenen Jahr hat Arian an der Fachhochschule Frankfurt den Bachelor in Soziale Arbeit abgelegt, ist in einem Integrationsprojekt der Mainmetropole beschäftigt, engagiert sich in ihrem Wohnort Egelsbach in der SPD. Das Buch hat sie jetzt nach zweijähriger Arbeit mit der Dresdener Schriftstellerin Christine Fischer veröffentlicht.

Kampf gegen Vorurteile

„Sollte man mit 25 nicht das Leben genießen und reisen“, überlegte sich die junge Frau. Im Angesicht der Flüchtlingsdebatte entschied sie, „da muss was gemacht werden“. So kämpfte sie neben der Abschlussarbeit gegen die Vorurteile, Flüchtlinge seien kriminell, Islam immer Terror. „Wer Familie, Freunde, sein Haus und alles zurücklässt, um ein friedliches Leben zu haben, der kommt nicht wegen Geld.“ Arians Familie ist vier Jahre lang durch mehrere Länder gezogen. „Ich bin glücklich, dass ich noch am Leben bin, dass ich hier sitzen darf, dafür bin ich meinen Eltern sehr dankbar.“ Zwei Monate leben die Anvaris bei einer Tante in Pakistan, einer Ärztin, die vielen Geflohenen hilft. Zurück in Afghanistan mieten sie eine Garage als Unterkunft. Durch Beziehungen gelangen sie nach Moskau, wo der siebenjährige Bruder Karim Zigaretten verkauft. Zweimal müssen sie ihn von ihrem bitter ersparten Geld von korrupten Polizisten aus dem Gefängnis freikaufen. Dann gelangen sie nach Deutschland, einer nach dem anderen, zuletzt Arian und der Vater.

Ihre erste Wohnung liegt in der Eifel. In dem Dorf sind sie die einzigen Ausländer, „wir waren eine Attraktion“. Sie haben afghanisches Essen zubereitet, die Nachbarn eingeladen, Musik und Tanz gezeigt. „Jetzt ist das Leben viel angenehmer“. Arian hatte aber auch Glück: „Meine Mutter war Bankkauffrau, mein Vater Tontechniker, sie haben einen sehr weiten Horizont, die Integration ist so leichter.“ „Lasst uns doch einfach allen zeigen, dass Deutschland vielfältig ist“, appelliert sie und tanzt den Attan. „Lasst uns Fremde herzlich willkommen heißen.“