VdK Ortsverband Obertshausen organisiert Spaziergang durch die Altstadt zwecks Barrierefreiheit Russisch-Roulette für Rollstuhlfahrer in der Liebknechtstraße

Für Rollstuhlfahrer sind Gehwege, welche von Autos zugeparkt werden, ein echtes Hindernis und mitunter auch eine nicht ungefährliche Gefahrensituation. Foto: m

Obertshausen (m) – Ein Perspektivenwechsel lohnt immer. Man sammelt neue Erfahrungen und entwickelt Verständnis für andere Menschen, zum Beispiel für Rollstuhlfahrer oder Benutzer eines Rollators.

Der Ortsverein des Sozialverbands VdK hatte zu einem Spaziergang mit Betroffenen vom Bürgerhaus in die Hausener Altstadt eingeladen.

Ohne die Begleiter mit den gesunden Beinen hätte bereits die Überquerung der Gumbertseestraße ein Problem dargestellt. Mit dem Saal der Stadt im Rücken können die drei mit ihren Gefährten noch ganz gut den Gehweg verlassen, der Randstein ist abgesenkt. Nicht aber auf der Seite des Feuerwehrhauses, dort genießen die Nutzer nur den Vorteil, wenn sie aus oder in Richtung Waldschule rollen. Also schlägt Gianfranco einen Bogen und versucht mit einem Bogen bis fast auf die Mitte der Straße wieder auf den Bürgersteig zu gelangen. Genau in diesem Moment nähern sich von drei Seiten Autos.

Keiner der Lenker wartet die Operation der Gruppe ab, alle kurven mit geringem Abstand um das Experiment herum. Zurück auf dem Trottoir plaudert der Familienvater im Stuhl über seine Erfahrungen.

Das vom VdK als behindertenfreundlich ausgezeichnete Bürgerhaus sei „okay – wenn das Behinderten-WC offen ist!“. Auf den Knochen, den Pflastersteinen mit den kleinen Fugen, lasse es sich gut fahren, urteilt Gianfranco. „Da musste mal zu meinem Zahnarzt kommen“, wirft Philip ein.

Der 17-jährige lebt im Wohnheim an der Waldschule. Zur Praxis wird er zwar mit dem Kleinbus gebracht, im Gebäude gibt’s auch einen Aufzug, doch der sei so eng, dass der Teenager sein Fußbrett demontieren muss. Inzwischen hat das Team das Feuerwehrhaus erreicht. Die Brandschützer im tonnenschweren Drehleiterwagen werden den Übergang vom Hof auf die Fahrbahn kaum spüren, Christa, die ihr Sauerstoffgerät vorne im Rollator untergebracht hat, schafft es auch runter.

Um den Bürgersteig gegenüber erklimmen zu können, muss sie auf der Straße eine Drehung vollführen und ihren Wagen rückwärts auf den Gehsteig hieven.

Aber es kommt noch dicker.

In der Liebknechtstraße parken Anwohner so weit auf der Ebene der Fußgänger, dass die drei Gehbehinderten eigentlich auf den viel befahrenen Asphalt ausweichen müssen. Davor bewahren sie die Vereinsmitglieder an ihrer Seite.

VdK-Vorsitzende Nicole Amerschläger bugsiert Philip zwischen Fallrohr und Kotflügel hindurch.

Alleine wäre das eine Art Russisch-Roulette, denn viele der quadratischen Platten sind lose, und die gesamte Fläche ist abschüssig. Ohne Halt bewegen sich die Wagen von Gianfranco und Philip ganz rasch auf die Fahrbahn zu. Julia Koerlin geht es ganz ähnlich. Die Stadtverordneten-Vorsteherin ist ebenfalls gehbehindert, die unebenen Wege bereiten ihr Schwierigkeiten mit der Balance.

Die Kommunalpolitikerin schlägt vor, bei der Planung von Baumaßnahmen verstärkt die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen.

Einen Meter Platz braucht selbst das sportliche Model von Gianfranco. Werner Friedrich, der seinen Zollstock ausklappt und von der Hausfassade bis zum Außenspiegel des Golfs misst, kommt aber nur auf knapp 110 Zentimeter. Die Gruppe gerät erneut ins Stocken. Auch vor dem Friseurgeschäft in der Windthorststraße und an der Treppe der alten Krone wird’s noch mal richtig eng. Die Pflasterung auf Fahrbahnniveau gefällt den Teilnehmern im Rolle jedoch sehr gut, so können sie jederzeit die Straße überqueren. Ohne Mühe gelangen die Rollstuhlpilotenan an den Einwurf der Unterflur-Container für Glas und Papier an der Ecke Kapellenstraße. Christa begrüßt die Bänke auf dem umgestalteten Platz. Auch in den Kappellenhof zieht die Runde ohne Hindernisse ein, um sich einen Kaffee zu gönnen – allerdings nur über den Parkplatz.

Die Rampe am vorderen Zugang bewältigt Sportskanone Gianfranco mit viel Energie. Aber er wohnt gegenüber und trainiert regelmäßig.