Elisabethpfad beginnt in Sachsenhausen Frankfurt ist ein Pilgerknotenpunkt

Die Pilgerinnen Martina Heidrich, Christiane Kohn und Sabine Lind (von links) sind in Frankfurt unterwegs. In der Main-Metropole kommen gleich mehrere berühmte Pilgerwege zusammen. Foto: Salome Roessler/PIA

Sachsenhausen (pia) – Für einige Stunde Ruhe haben, völlig auf sich selbst gestellt sein, alles aus der Hand geben. In der schnelllebigen Welt suchen viele Menschen nach Entschleunigung. Eine Möglichkeit ist das Pilgern.

Spätestens seit Hape Kerkeling Millionen Leser mit den Erlebnissen seiner Tour nach Santiago de Compostela begeistert hat, ist das Pilgern auf dem Jakobsweg aktueller denn je. Auch durch Frankfurt führt der berühmte Camino.

Bunte Rücksäcke, Wanderstöcke, regendichte Kleidung und festes Schuhwerk – damit ausgerüstet stehen sechs Frauen und Männer vor der Leonhardskirche in Frankfurt. Dass sie Pilger sind, sieht man auf den ersten Blick, tragen sie doch alle die Jakobsmuschel – das Zeichen der Pilger – am Rucksack oder um den Hals. „Damit erkennt uns jeder, wir werden oft unterwegs angesprochen“, sagt Christiane Kohn. Sie und ihr Mann Karl-Heinz sind gemeinsam mit weiteren Pilgerbegeisterten seit einigen Jahren immer wieder unterwegs. Ob in Etappen nach Santiago de Compostela, dem Ort in Spanien, an dem der berühmte Jakobsweg endet, oder bei Tagestouren durch Deutschland. Dass sie sich an diesem Sonntagmorgen in Frankfurt an der Leonhardskirche unweit des Eisernen Stegs treffen, ist kein Zufall. Denn auch durch die Stadt am Main führt der Jakobsweg. Frankfurt sei nicht nur Bankenstadt und zentrales Verkehrsdrehkreuz, sondern auch Pilgerknoten, sagt Karl-Heinz Kohn. „Frankfurt ist und war wichtig für die Pilger. Einige Wege führen direkt durch die Stadt.“

Seit zehn Jahren immer wieder auf Tour

Die Leonhardskirche aus dem Jahr 1219 zeugt von dieser alten Tradition. In der Kirche, in östlicher Turmrichtung liegend, erkenne man noch heute ein zugemauertes Pilgerportal. „Hier sind früher die Pilger für ihre Reise gesegnet worden“, erklärt Karl-Heinz Kohn. Über die Alte Brücke ging es dann weiter am Main entlang Richtung Santiago de Compostela. Richtung Jerusalem – ebenfalls beliebtes Ziel – führte auch ein Weg. Kirchendezernent Uwe Becker weist auf die vielen Pilgerpfade, die durch Frankfurt verlaufen, hin: Die Bonifatiusroute, die von Mainz über Frankfurt nach Fulda führt, oder den Elisabethenpfad von Frankfurt nach Marburg. „Wer mit offenen Augen durch die Stadt geht, findet auch heute noch Verbindungen zu diesen Wegen. Beispielsweise die Figurengruppe der drei Pilger auf dem Platz vor der Kirche St. Leonhard oder die Schilder, die seit dem 1. Juli an verschiedenen Orten der Stadt auf den Verlauf des Lutherweges durch die Mainmetropole hinweisen“, sagt er.

Kohn ist seit gut zehn Jahren immer wieder auf Tour. An das überwältigende Gefühl, als er das erste Mal in Santiago de Compostela ankam, kann er sich noch gut erinnern. „Es ist ein Schock und ein Traum zugleich, wenn man plötzlich aufhört zu laufen“, sagt er. Der Gedanke, sich auf den Weg zu machen, war eigentlich eine „Schnapsidee“ aus der katholischen Erwachsenenbildung heraus, in der er seit Jahren aktiv ist. Daraus geworden sind zahlreiche Pilgertouren und die Hessische St. Jakobusgesellschaft, die sich 2014 in Frankfurt gegründet hat. Mit etwa 70 Mitgliedern ist sie eine der kleinsten Jakobusgesellschaften in Deutschland. „Wir freuen uns immer über Nachwuchs“, sagt Christiane Kohn, die gemeinsam mit ihrem Mann schon weit über 2.000 Kilometer gewandert ist. Mit Schnuppertagen und Stammtischen versucht das Ehepaaar, andere Menschen von der besonderen Art zu wandern zu begeistern.

Tradition bewahren

„Wir sind eine ökumenische Gemeinschaft, die die Tradition des Pilgerns vermitteln und bewahren will. Wir bieten Beratung und Touren an“, erklärt Kohn das Ziel der Vereinigung. Damit stehen die Frankfurter nicht allein da. In ganz Deutschland und in vielen Teilen Nord- und Südeuropas gibt es Jakobusgesellschaften, benannt nach einem der zwölf Apostel Jesu, der der Legende nach in der spanischen Stadt Santiago de Compostela begraben ist. Er gilt als Patron der Pilger und wird mit einer Jakobsmuschel am Hut oder an der Hose dargestellt, weshalb die Muschel heute das Symbol der Pilger ist.

Neben Beratung und Information pflegen die Jakobusgesellschaften die Wege und geben Pilgerpässe aus. Um zu beweisen, dass man die Kilometer auch wirklich zurückgelegt hat, trägt jeder Pilger einen solchen Ausweis mit sich und lässt sich in jeder Stadt einen Stempel geben. „Der Pass berechtigt auch dazu, in den Pilgerherbergen zu schlafen“, erklärt Kohn. In Frankfurt können sich Pilger ihren Stempel im Haus am Dom und in der Pfarrei St. Jakobus, die sich 2015 aus drei bestehenden Gemeinden in Frankfurt neu gegründet hat, abholen. Benannt ist die Pfarrei übrigens ebenfalls nach dem Jakobsweg, der an allen drei Kirchorten – Offene Kirche Mutter vom guten Rat in Niederrad, St. Johannes in Frankfurt-Goldstein und St. Mauritius in Schwanheim – entlang führt.

Mit kleinen Touren anfangen

Für Karl-Heinz Kohn ist die besondere Art der Wanderschaft die ideale Abwechslung zum Alltag. „Ich bin jemand, der gern alles in der Hand hat“, sagt der Mann, der in der IT einer großen Bank im Frankfurter Westen arbeitet. „Beim Pilgern kann ich das nicht.“ Das Wetter, der Weg, der Schlafplatz seien gegeben, damit müsse man unterwegs zurechtkommen. „Das entschleunigt total. Wenn ich unterwegs bin, reduzieren sich meine Gedanken ziemlich schnell auf das Wesentliche. Irgendwann zählt nur noch der nächste Schritt, die nächste Unterkunft, das nächste Essen.“

Menschen, die das Pilgern ausprobieren wollen, rät Karl-Heinz Kohn mit kleinen Touren anzufangen. „Die Strecke von Fulda nach Frankfurt auf der Bonifatiusroute bietet sich an, sie ist gut ausgeschildert und geht entlang vieler Bahnhöfe“, sagt er. So könne man zur Not mit der Bahn zurückfahren. „Da muss man pragmatisch sein, zu viel vornehmen nützt auch nichts.“ Damit man auch in Frankfurt den richtigen Weg findet, will die Hessische St. Jakobusgesellschaft den Camino durch Frankfurt mit der berühmten Muschel kennzeichnen. „Wir haben schon die Erlaubnis, bald fangen wir mit der Beschilderung an“, freut sich Kohn. Einen weiteren Tipp hat seine Frau für Neueinsteiger: Mehr als zehn Kilo dürfe der Rucksack nicht wiegen. „Da fängt so mancher an und wiegt seine Unterwäsche“, sagt sie lachend. „Einige schneiden sogar den Stiel ihrer Zahnbürste ab, um Gewicht zu sparen.“ Man wird eben erfinderisch auf dem Jakobsweg.

Der nächste Pilgerstammtisch der Hessischen St. Jakobusgesellschaft findet am 18. Oktober statt. Treffpunkt ist jeweils um 19 Uhr in der „Cucina delle Grazie“ im Haus am Dom. Weitere Infos und Pilgerangebote gibt es auch unter www.jakobus-hessen.de.