Sechs-Tage-Rennen und Steherqualitäten: Blick in die Geschichte des Radsports in Frankfurt „Mit Karacho in die Steilkurve“

Thomas Bauer erzählt aus der Geschichte der Bahnradrennen. Foto: jf

Sachsenhausen (jf) – Eine Dame im Publikum des Eintracht-Frankfurt-Museums hatte ein Fotoalbum mitgebracht. Die Schwarz-Weiß-Bilder zeigen ihren Vater mit einem Radfahrer. „Fast zu jeder Veranstaltung kommen Leute, die damals dabei gewesen waren, und bringen manchmal auch Bilder mit“, sagte Helga Roos vom Sportkreis Frankfurt. Der organisiert seit 2013 die Veranstaltungsreihe „Spuren des Sports“. In diesem Jahr stehen die Radfahrer im Mittelpunkt der insgesamt sechs Termine.

An diesem dritten Abend ging es um Sechs-Tage-Rennen in der Festhalle und Steherrennen im Radstadion.

Thomas Bauer, Institut für Stadtgeschichte, begann und zeigte Bilder dazu: „An die Festhalle kann sich jeder gut erinnern. Mein Vater hat mich damals mitgenommen, die Stahlkonstruktion hat mich beeindruckt.“ 1909 wurde die von Friedrich von Thiersch entworfene 40 Meter hohe Halle an der Messe mit viel Pomp, Gesang und dem Kaiser eröffnet. Im Dezember 1911 fand das erste Sechs-Tage-Rennen auf einer mobilen Bahn statt. Auf dem 166 Meter langen und fünf Meter breiten Rund mit 4,5 Meter hohen Kurven rangen zwölf Teams um den Sieg. „Es war eine wahre Tretmühle, zwei Fahrer lösten einander ab. Leider hatte das Rennen nur wenige Zuschauer“, kommentierte Bauer. Nur sechs Mannschaften kamen ins Ziel. Nach sechs Rennen verboten die Nazis 1934 den Wettbewerb.

Während des Zweiten Weltkriegs verbrannte die hölzerne Radrennbahn. Bis 1950 wurde sie wieder aufgebaut, hatte nun eine Länge von 192,3 Metern und 57 Grad steile Kurven. Am 27. Oktober 1951 fand das erste Nachkriegsrennen statt. „Das ist doch der Erwin Moos ...“, ruft jemand aus dem Publikum. Stimmt.

36 Rennen insgesamt fanden bis 1983 in der Festhalle statt. Große Namen tauchen aus der Vergangenheit auf: Klaus Bugdahl, Rudi Altig, Hugo Koblet. Lokalmatador Dietrich Thurau und der Belgier Patrick Sercu schafften jeweils fünf Siege. „Für die Gewinner gab es Geld- und Sachpreise, Zigaretten beispielsweise oder eine fette Gans. Das wurde zu Schnäppchenpreisen wieder verkauft“, erinnerte Bauer an eine kaum mehr vorstellbare Zeit. „Es war zugleich Hochleistungssport und Riesenfete.“ Doch die Veranstaltungen mit Roberto Blanco und Ochse am Spieß nahmen immer mehr Volksfestcharakter an. „Da störten die Radfahrer eher“, sagte Bauer. Das letzte Sechs-Tage-Rennen war ein Verlustgeschäft in Höhe von einer viertel Million D-Mark – ein Debakel.

Matthias Thoma, Leiter des Eintracht-Frankfurt-Museums, ergänzte: „1884 gab es die erste Radrennbahn am Forsthaus, 1887 wurde sie am Palmengarten aufgebaut. Der absolute Held war August Lehr mit 260 Siegen.“ 1925, als das Waldstadion und das Stadionbad in Betrieb genommen wurden, eröffnete auch die 400 Meter lange Radrennbahn – 20.000 Zuschauer erlebten das mit. Die Brüder Fritz und Adam Opel ließen an der Bahn eine Bronzestatue von Lehr errichten.

Im Krieg wurde die Bahn zwar zerstört, aber anschließend wieder aufgebaut. 1958 wurden erfolgreich deutsche Meisterschaften ausgerichtet. „1960 war im Innenraum die Kunsteisbahn hinzu gekommen“, erinnerte Thoma.

1966 fanden die UCI-Bahn-Weltmeisterschaften in Frankfurt statt. Allerdings hatte diese WM wenig Zuschauer. „Die große Zeit des Bahnradsports war vorbei. Ich lernte die Bahn nur noch als Biotop kennen“, sagte der Museumsleiter.

Statt der Radfahrer kamen ab 1970 Deep Purple, The Byrds, Chuck Berry, Ozzy Osbourne mit Black Sabbath. Die Lehr-Skulptur verschwand nach der Jahrtausendwende während der Umbauarbeiten des Stadions spurlos – bis auf den Lorbeerkranz.

„Heinz Ulzheimer, Leichtathlet und Olympiateilnehmer, leider vor zwei Jahren gestorben, sammelte Exponate für ein Sportmuseums in der Tribüne der Radrennbahn“, fügte Matthias Thoma noch hinzu. Das war das Stichwort für Peter Schermer vom Sportkreis Frankfurt: „Frankfurt braucht ein Sportmuseum“, sagt er.

Dann liefen Publikum und Redner an die Stelle der ehemaligen Radrennbahn. Nichts erinnert mehr daran. Das Gelände wird im September für das Frankfurter Oktoberfest genutzt und dient sonst als Fanparkplatz für die Gäste. Am Rand ist ein großer Erdhügel aufgeschüttet – der wurde für die kürzlich veranstalteten Monstertruckrennen gebraucht.

Den geretteten Lorbeerkranz aus Bronze von August Lehr gibt es noch. Wann er aus dem Depot in einem künftigen Sportmuseum ausgestellt werden kann, steht in den Sternen.