Mensch-Maschinen und Megafone Neue Ausstellung im Liebieghaus mit William Kentridge

Direktor Philipp Demandt weist auf die Ausstellung von William Kentridge hin. Foto: Faure

Sachsenhausen (jf) – Die Liebieghaus Skulpturensammlung mit ihren rund 3000 Werken aus 5000 Jahren tritt gegenwärtig in einen spannenden Dialog mit etwa 80 Arbeiten des südafrikanischen Künstlers William Kentridge. Es ist nach der Jeff-Koons-Ausstellung 2012 die zweite Intervention eines Gegenwartskünstlers in diesem Haus.

„Es ist eine große Bereicherung, William Kentridge bei uns zu Gast zu haben. Seine Werke entfalten innerhalb unserer Sammlung ein einzigartiges Gespräch mit den religiösen, ethischen und politischen Konzepten der Kunst von der Antike bis ins 19. Jahrhundert“, sagte Philipp Demandt, Direktor der Liebieghaus Skulpturensammlung.

Kentridge, dessen Mutter Mitgründerin der südafrikanischen Bürgerrechtsorganisation Legal Resources Centre (1979) war und dessen Vater Nelson Mandela verteidigte, lebt in Johannesburg. Ihn interessiert das Phänomen der Bewegung, er greift auf alte Techniken zurück. Das von Heron im ersten Jahrhundert vor Christus entwickelte automatische Theater wird von ihm in die Gegenwart übersetzt. Platons Höhlengleichnis, in dem die in einer Höhle an Füßen und Hälsen gefesselten Menschen nur Schatten wahrnehmen können, übersetzt er in die Kolonialzeit, in der gefangene Sklaven in der „Schiffshöhle“ in andere Länder gebracht wurden. 

Maschinen bewegen die Geschichte

Für Kentridge ist das 19. Jahrhundert, an dessen Ende der erfolgreiche Textilunternehmer Heinrich von Liebieg seine späthistorische und verspielte Villa am Mainufer bezog, ein Jahrhundert der Kolonialisierung, der Gewalt und Sklaverei. Ungerechtigkeit hat die Werte der Aufklärung – Vernunft, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – abgelöst. Im 19. Jahrhundert geht es um Industrialisierung, Maschinen bewegen die Geschichte. 

Die Installation „The Refusal of Time“, erstmals 2012 auf der documenta 13 gezeigt, besteht im Zentrum aus einem großen, hölzernen Blasebalg, der an das Paris des 19. Jahrhunderts erinnert, in dem ein unterirdische Pumpensystem die öffentlichen Uhren mit Luftdruckimpulsen synchronisierte. „Es ist eine Absurdität, man kann sich der Zeit nicht verweigern, ob man nun möchte oder nicht. Trotzdem ist es ein realer Wunsch: so zu leben, als wären wir der Zeit und dem Verfall nicht unterworfen“, erklärte der Künstler. Fünf Projektionen, die zur Installation gehören, verdeutlichen das.

Installation „O Sentimental Machine“ ist Namensgeber 

Größer kann der Gegensatz nicht sein: Im Raum 210, der den von Liebiegs als Salon diente und sich durch eine verspielte und heitere Ausstattung im Stil des Neorokoko präsentiert, steht die Videoinstallation „Black Box/Chambre Noire“ (2005), die in bedrückenden Bildern den Genozid der Hereros und Namas von 1904 bis 1908 in der deutschen Kolonie Deutsch-Südwestafrika anprangert. Erstaunliche Parallelen ergeben sich von den ersten Konzentrationslagern, in denen die überlebenden Hereros und Namas gefangen gehalten wurden, zu den späteren KZs in der Nazizeit.

William Kentridge schlüpft in der titelgebenden Installation „O Sentimental Machine“ in die Rolle Leo Trotskis. Dem russischen Revolutionär werden die Worte zugeschrieben, dass der Mensch eine programmierbare, aber sentimentale Maschine sei. In der Installation in einer nachgebauten Hotellobby laufen fünf Filme ab, die an surreale Streifen denken lassen. Menschen verwandeln sich in Maschinen, statt der Köpfe tragen sie Megafone.

Megafon hat zentrale Bedeutung

Das Megafon hat übrigens eine zentrale Bedeutung in Kentridges Oeuvre, der Besucher sieht es auf Schritt und Tritt. Es findet sich auch in Max Beckmanns „Stillleben mit Saxofonen“ (1926) wieder, das im Städel zu sehen ist. Da schließt sich ein Kreis: William Kentridge hatte 2005 als erster Künstler die Max-Beckmann-Stiftungsprofessur der Städelschule inne und beschloss diese 2007 mit einer eigens für das Städel Museum entwickelten Ausstellung. Elf Jahre später ist er nun wieder mit einer ungewöhnlichen und umfangreichen Exposition am Main.