Ein Leben mit Höhen und Tiefen Thema „Bipolare Störungen“ in der Uniklinik

Martin Kolbe und Andreas Reif, im Hintergrund Porträts von Heinrich Hoffmann, Psychiater und Struwwelpeter-Autor. Foto: Faure

Sachsenhausen (jf) – Was haben Curt Cobain, Ernest Hemingway, Robert Schumann und Amy Winehouse gemeinsam? Sie litten unter einer manisch-depressiven Erkrankung, einer Bipolaren Störung. Cobain, Hemingway und Winehouse nahmen sich das Leben; 15 Prozent aller bipolar Erkrankten begehen Suizid, ein Drittel der Betroffenen versuchen es mindestens einmal im Leben. Erschreckend hohe Zahlen.

Professor Andreas Reif, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Frankfurt sowie Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen (DGBS), und der Sänger Martin Kolbe, Betroffenenvertreter im Vorstand der DGBS, informierten über die Krankheit, an der geschätzt ein bis zwei Prozent der Gesamtbevölkerung leiden. Im Rhein-Main-Gebiet sind es zwischen 50.000 und 100.000 Betroffene. „Etwa mit 25 Jahren tritt die Erkrankung erstmals auf“, erklärte Reif. Männer und Frauen seien gleichermaßen betroffen. Manie und Depression wechseln sich ab. Während der Manie sind die Betroffenen euphorisch oder gereizt, haben ein hohes Selbstwertgefühl, sind maßlos optimistisch, gehen leichtsinnig mit Geld um, benötigen kaum Schlaf.

In der depressiven Phase verlieren die bipolar Erkrankten dagegen jegliches Interesse, die Konzentration ist herabgesetzt, sie empfinden sich nicht wertgeschätzt, sehen keine Perspektiven, haben Schuldgefühle und ermüden schnell.

Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Eine Herausforderung auch für Angehörige und Freunde. „Eine Frau, die mit 25 Jahren erstmals an einer Bipolaren Störung erkrankt, hat eine um neun Jahre verkürzte Lebenserwartung, verliert zwölf Jahre normalen gesunden Lebens sowie 14 Jahre normaler beruflicher und familiärer Aktivität“, skizzierte Reif ein Beispiel.

70 Prozent der Erkrankten haben keine Vollzeitarbeit. Umso wichtiger sind eine rechtzeitige Diagnose und eine erfolgreiche Behandlung. „Bipolare Störungen sind – sofern richtig diagnostiziert und therapiert – gut in den Griff zu bekommen“, ergänzte der Experte. Aufgrund von MRT-, Blut- und genetischen Untersuchungen wird eine Kombination aus Psychologie und Medikation angewandt, die genau auf den Patienten abgestimmt ist. Das Problem: Die Betroffenen brauchen lange, bis sie zum Arzt gehen. Die Therapie dauert noch länger.

Der 1957 geborene Martin Kolbe stand Ende der 1970er Jahre zusammen mit Ralf Illenberger auf der Bühne, das Duo feierte Erfolge, bestritt etwa 1000 Konzerte in rund 40 Ländern, veröffentlichte sieben Alben. 1979 erkrankte Martin Kolbe an einer Bipolaren Störung, die ihn schließlich zum Rückzug als Musiker zwang. „Nach dem Abschlusskonzert einer Tournee bin ich 1979 in ein schwarzes Loch gefallen, war zum ersten Mal im Krankenhaus. Einige Monate später ging es mir wieder blendend, ich war in einer Hochphase. Die Krankheit hat vieles kaputt gemacht. 2003 erlebte ich einen derartigen Absturz, dass ich begriffen habe: Ich muss etwas gegen die Krankheit tun. Heute weiß ich, wie ich mit meinem ‚Ferrari’, der Manie, umgehen muss“, berichtete Kolbe sehr persönlich. „Die Manie ist wie Kokain hoch zehn. Die Krankheit spielt einem vor, alles zu wissen und zu können.“ Er habe Familie und Freunde verloren, Geld zum Fenster hinaus geworfen.

Eine Heilung gäbe es zwar nicht, aber eine Minderung der Anfallhäufigkeit sei möglich, setzte Reif hinzu. Die 1999 gegründete DGBS, der Kolbe seit 2008 angehört, setzt sich für die Bedürfnisse von Menschen mit Bipolaren Störungen, von denen es zahlreiche Varianten gibt, ein. 2015 wurde in Frankfurt das Bündnis gegen Depression gegründet, in dem regionale Kliniken, Präventionseinrichtungen und das Gesundheitsamt zusammengeschlossen sind. Martin Kolbe spielt seit 2012 nach 25 Jahren wieder Gitarre, singt, steht auf der Bühne und engagiert sich, um die Öffentlichkeit auf die Erkrankung aufmerksam zu machen und Betroffene zu ermutigen.