„Die reine Notwendigkeit“ – ein besonderes Filmerlebnis Tiger und Bär im Städel Garten

Der Tiger schleicht durch den Dschungel – Film im Städel Garten. Foto: Faure

Sachsenhausen (jf) – Balu, der gemütliche Bär aus dem Dschungelbuch, singt nicht, schwimmt aber – für Bären ziemlich ungewöhnlich – auf dem Rücken. Aus dem bekannten, knallbunten Walt Disney-Trickfilm, der 1967 die Welt eroberte, ist ein neues, ganz anderes und eigenständiges Kunstwerk geworden: David Claerbout, zwei Jahre nach dem Filmstart von „Das Dschungelbuch“ geboren, hat eine reduzierte, überraschende und entschleunigte Adaption vorgelegt.

„Der 60-minütige Film von David Claerbout ist eine einfache, spielerische Arbeit – so scheint es zumindest“, sagt Kurator Martin Engler. Doch dieser erste Eindruck täuscht: Der belgische Künstler hat mit zwölf Zeichnern dreieinhalb Jahre an diesem Schwarz-Weiß-Film gearbeitet. Gerade noch rechtzeitig ist das Werk fertiggeworden und kann im Rahmenprogramm der Buchmesse als Beitrag der Ehrengastregion Flandern und Niederlande gezeigt werden. Ausgangs- und Schlusspunkt des Schwarz-Weiß-Films, der nur Konturen nutzt, um das Leben der Tiere im Dschungel darzustellen, ist ein Dorf am Rande des indischen Urwalds. Der Zuschauer sieht das Dorf im Hintergrund schwinden, der Dschungel wird dichter, Tiere – Bär, Panther, Schlange, Tiger – tauchen auf, bewegen sich zwischen den Pflanzen.

Der Bär singt nicht

Aus 90.000 Zeichnungen setzt sich „Die reine Notwendigkeit“ zusammen. Der Titel stammt aus der Originalfassung; da singt der Bär nicht „Probier’s mal mit Gemütlichkeit“, sondern „Bare Nessecities of Life“. Gezeigt wird der Film im Städel Garten im Rahmen der seit 2013 bestehenden Reihe auf einer sechs mal vier Meter großen Led-Wand. „Wenn dich Ideen lange genug verfolgen, musst du das auch machen“, sagte David Claerbout zur Preview. Er habe verschiedene Jahre an einem Projekt mit Tieren gearbeitet, zufällig „Das Dschungelbuch“ wieder gesehen.

„Eigentlich gab die letzte Szene den Ausschlag“, verriet der Künstler. Das Lied des Mädchens sei das Leitmotiv für den Film gewesen. Er gab in seinem Werk den Tieren ihre Lebensweise zurück – zumindest tanzen und singen sie nicht wie die Menschen. „Die Kinder erinnern sich stärker an das ‚Dschungelbuch’ als die Erwachsenen. Ich wollte eine lange Energiestrecke realisieren, habe fast alle Musik – bis auf das letzte Lied – weggelassen, auch Mogli gibt es bei mir nicht“, erklärte Claerbout. „Und so ist ein zeitloser Film mit belgischer Melancholie entstanden“, kommentierte Martin Engler. „Als ‚Das Dschungelbuch’ erschien, badeten alle in einer optimistischen Zukunftsgläubigkeit. Bei meinem Film kann man mental mittanzen“, äußerte der Künstler.

Bilder mit lautstarkem Schweigen"

Das Städel Museum begegnet David Claerbout nicht zum ersten Mal, es besitzt bereits eine eigentümliche Lichtbox, die ihre Wirkung erst nach einiger Zeit entfaltet. „Jedes Werk von Claerbout ist anders, der Künstler arbeitet aufwändig traditionell-handwerklich, er nutzt jedoch auch modernste Technik“, erläuterte Engler. Alle Szenen in „Die reine Notwendigkeit“ sind nachgezeichnet. „Ich dachte bei dieser Arbeit immer an die Kinder. Und die lassen sich nicht austricksen“, bemerkte Claerbout. Der Film, für den der Künstler „Bilder mit lautstarkem Schweigen“ gesucht hat, sei eine Hommage an die Erinnerung. Er wollte der in der Animation gewohnten vermenschlichten Darstellung von Tieren etwas entgegensetzen. Dennoch musste er dabei bestimmte Sichtweisen beachten. „Die Tiere sind eine Art Hybride, leben im Dschungel und haben keine Lust auf gefährliche Abenteuer“, erklärte Claerbout. So schwimmt der Bär also auf dem Rücken. Schweigend. Und der zurückhaltende Soundtrack des Films vermischt sich mit den Geräuschen des Gartens. Der Film ist im Rahmen der Öffnungszeiten des Städel Museums bis zum 23. Oktober zu sehen, der Eintritt in den Garten ist frei.