Beim Zunft- und Handwerkermarkt zu sehen Alte Turmuhr der evangelischen Kirche zurück in Seligenstadt

Stolz sind sie, die Glockenfreunde Seligenstadt mit ihrem Uhrwerk: (von links) Heinz Wenzel, Hans-Joachim Lutz, Michael Irlbacher, Joachim Rühl und Thomas Knapp. Foto: Verein/p

Seligenstadt (red) – Die Geschichte der alten Kirchturmuhr aus der Evangelischen Kirche Seligenstadt führt uns zurück ins Nachkriegs-Deutschland. Es war an einem eiskalten Montag, 4. Januar 1954, als die Ulmer Turmuhr-Manufaktur Philipp Hörz eine nagelneue Kirchturmuhr an die Evangelische Gemeinde Seligenstadt auslieferte. Die inzwischen überholte Turmuhr befindet sich in einem guten Zustand. Sie wird beim Zunft- und Handwerkermarkt (21./22. Mai) am Stand der Glockenfreunde im Klosterhof zu sehen sein.

 

Während am gleichen Tag in der Stadt Duisburg die ersten Parkuhren der Bundesrepublik Deutschland in Betrieb gingen, wurde am 4. Januar 1954 in Seligenstadt die neue Turmuhr aus Ulm installiert. Die Turmuhr musste nach vielen Betriebsjahren einer neuen, über Funk gesteuerten Uhr weichen. Durch eine glückliche Fügung kam der Kontakt zwischen den Glockenfreunden Seligenstadt und dem früheren Seligenstädter Uhrmachermeister Helmut Oster zustande. In seinem Haus in Wabern befand sich die alte Turmuhr in einer Art „Dornröschenschlaf“.

Seit dem Einweihungsjahr 1847 ist die am ehemaligen „Obertor“ der mittelalterlichen Stadtbefestigung erbaute Evangelische Kirche, ein historischer Baubestandteil Seligenstadts. Der Saalbau im romanisierenden Stil ist dank seines Kirchturms, der von einem oktogonalen Spitzhelm bekrönt ist, weithin als Sakralbauwerk zu erkennen. Sein Zifferblatt zeigt die genaue Zeit an. In den Nachkriegsjahren entschloss sich die evangelische Kirchengemeinde zur Anschaffung einer neuen Kirchturmuhr. Die Lieferung erfolgte an einem frostkalten 4. Januar, einem Montag des Jahres 1954. Es war eine schwergewichtige Lieferung. Der Lieferschein der Turmuhr-Manufaktur Philipp Hörz aus Ulm listete die gelieferten Einzelteile minutiös auf.

Gold für die Zeiger

Neben unzähligen Kleinteilen fanden sich die „dicken Brocken“: Turmuhr, Uhrschrank, Gewichtseimer, massive Gewichte, Hammerwerke, die Anbindung an das Glockengeläut, Zifferblatt mit 0,78 m Durchmesser. Hinzu kam Filigranes: Zwei Uhrzeiger vergoldet. Die neue Turmuhr wurde zügig installiert und in Betrieb genommen. Uhrmacher Wagenblast und Oster betreuten die Turmuhr: Um einen ganggenauen Betrieb sicher zu stellen wurden regelmäßige Wartungsarbeiten durchgeführt.

Die mit der Uhr gelieferte „Behandlungsanleitung“ von Philipp Hörz diente dem beauftragten Uhrmachermeister Wagenblast - seinerzeit Inhaber der Uhrmacherwerkstatt am Marktplatz - als Service-Anleitung. Albert Wagenblast war über viele Jahre der Organist der evangelischen Kirchengemeinde. Die Turmuhr betreute er von 1954 bis 1963. Im Jahr 1963 verkaufte er sein Uhrmachergeschäft an den Uhrmachermeister Helmut Oster, der ganz selbstverständlich auch die Verantwortung für die Turmuhr-Wartungsarbeiten übernahm.

Zeitzeuge: Uhrmachermeister Oster. Die Glockenfreunde Seligenstadt aktivierten in den zurückliegenden Monaten den Kontakt zum ehemaligen Seligenstädter Uhrmachermeister Helmut Oster und seiner Ehefrau Hildegard an deren Alterswohnsitz in Wabern. Das Ehepaar war 1963 nach Seligenstadt gezogen und übernahm das Wagenblast´sche Uhrengeschäft am Markt.

Verschrotten? Schreckliche Vorstellung

Oster berichtete den Glockenfreunden Seligenstadt: „Die Turmuhr lief recht genau. Größere Reparaturen gab es nicht. Es waren normale Instandhaltungsarbeiten, z. B. ölen, genaue Zeit einstellen, Sommer- und Winterzeit anpassen. Kleine Differenzen gab es natürlich immer.“ Dieser Zustand hatte sich im Laufe vieler Betriebsjahre offensichtlich geändert: „Die Genauigkeit ließ doch stark nach. Darum entschloss sich der Kirchenvorstand für die Anschaffung einer funkgesteuerten Turmuhr“ - so der inzwischen 80-jährige Helmut Oster. Die Hörz-Turmuhr aus Ulm wurde demontiert und sollte verschrottet werden - ein schreckliche Vorstellung für einen Uhrmachermeister!

Hörz-Kirchturmuhr auf dem Zunft- und Handwerkermarkt: Die Turmuhr wurde in die Uhrmacherwerkstatt umgesiedelt. Als das Ehepaar Oster am 4. Februar 2000 nach Schließung des Geschäfts am Marktplatz an den neuen Wohnsitz Wabern umzog, befand sich die alte Kirchturmuhr aus der evangelischen Stadtkirche im Umzugsgepäck. Die Glockenfreunde übernahmen die Uhr in den zurückliegenden Wochen und sorgten für den Transport nach Seligenstadt. Nach 16 Jahren befindet sich die Turmuhr wieder in Seligenstadt - in der Werkstatt des Uhrmachermeisters Michael Irlbacher.

 

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