SOMMER IM KLOSTERGARTEN Zwischen Obst und Blütenpracht Vom Nützlichen zum Schönen

Barockstatue im Konventgarten: Klostergründer Einhard.

Seligenstadt – Nicht wenige haben gestaunt, als Darmstadts Mathildenhöhe kürzlich zum Welterbe benannt wurde – in dem ramponierten Zustand, in dem sie ist. Im hessischen Kulturerbe der 1 000-jährigen ehemaligen Benediktinerabtei Seligenstadt sieht man das Kontrastprogramm: Wie beim Welterbe-Kloster Maulbronn und Kloster Eberbach ist alles im besten Zustand. Der wechselhafte Sommer tut sein Übriges, um die Gartenkunst der Mönche zur vollen Blüte zu bringen.

Der einzigartige Zustand hat historischen Hintergrund von Weltformat: Klostergründer Einhard, Biograph, Berater und Vertrauter von Kaiser Karl dem Großen, erhielt das Areal am Main um 830 als Schenkung von Karls Sohn Kaiser Ludwig dem Frommen. Nach Einhards Tod wurde das Klerikerstift zum Reichskloster und dann zur Benediktinerabtei, das reisenden Herrschern Quartier gab.

Wirtschaftliches und religiöses Zentrum

Die florierende Klosterstadt entwickelte sich schon im 11./12. Jahrhundert zum religiösen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Zentrum, wurde Schauplatz von Reichssynoden und Hoftagen. Im Hochbarock erhielt das Kloster mit der größten und ältesten, noch benutzten karolingischen Basilika mit der Prälatur, dem Konventbau, dem Refektorium, der Orangerie und weiteren Gebäuden ein neues Gesicht, das auch nach der Säkularisierung 1803 unzerstört blieb.

Die Verwaltung der Hessischen Schlösser und Gärten übernahm die Abteianlage 1948 von der Forstverwaltung und betrieb ab 1960 auch die schrittweise Rekonstruktion der historischen Gärten innerhalb der fast 800 Meter langen Klostermauer.

Man sieht das Ergebnis, verbunden mit der jahrzehntelangen Arbeit des Gartenmeisters Uwe Krienke: den kleinen mit Hortensien gefassten Prälaturgarten samt altem Kelterhaus; den Mühlgarten („Hirschgarten“) als ehemaligen Baumgarten mit Wildgehege, in dem heute Hühner scharren und Schafe weiden; das nach Ausgrabungen rekonstruierte Engelsgärtchen mit Ziehbrunnen und der Sandsteingruppe um „Maria Immaculata“ gegenüber den Weinstöcken an der Prälatur; den stimmungsvollen Klosterhof mit dem 1992 rekonstruiertem Taubenhaus gegenüber der wiederhergestellten Wassermühle von 1574; abseits das stille Kreuzgärtchen innerhalb des Kreuzganges.

Höhepunkt des Rundganges ist der von 1983 bis 2006 nach dem Kupferstich von Johann Stridbeck (1712) zurückgewonnene Konventgarten, ein 8 000 Quadratmeter großer Nutz- und Ziergarten, der ein Drittel der Klosterfläche einnimmt. An dessen Rand entstand ab 1999 der alte Heilpflanzen- und Apothekergarten vor der Orangerie von 1757 mit seiner neuen Dauerausstellung zu klostereigenen Zitrus- und Ananaspflanzen. Viele Besucher kommen von weit her, um die nach dem St. Gallener Klosterplan entwickelten Gärten zu sehen.

Pflanzliche Kost auf dem Speiseplan

In denen arbeiteten die Klosterbrüder („Ora et labora“) viel lieber, als sich bei groben Feldarbeiten außerhalb zu verschleißen, die man hörigen Bauern überließ. Benediktinermönche, die oft die Schriften der Hildegard von Bingen kannten, wurden zu Kennern von Veredelungs- und Bodenverbesserungstechniken. Auf ihrem Speiseplan stand neben Fasten-Askese und mäßigem Fleischgenuss reichhaltige pflanzliche Kost, was auch ihrer Gesundheit diente.

Im 18. Jahrhundert teilten sie das „Parterre“ in acht „Kompartimente“ ein. Niedrige Buchsbaumhecken sowie 350 Zwergobstbäumchen wechseln sich dort mit Frühjahrs- und Sommerflor ab aus bunten Blumenrabatten und diversen Gemüse- und Salatflächen. Eingefasst sind die Beete von Monatserdbeeren und Ysop-Hecken.

Unterstützt durch Beschilderung im Stil eines Botanischen Gartens entdeckt man viele alte Apfel- und Birnensorten. An Klostermauern wächst Spalierobst: Pfirsiche, Kirschen, Mirabellen, Renekloden und Zwetschgen profitieren von der Bestäubung durch Bienen des im 13. Jahrhundert belegten Klosterbienenstocks.

Kultiviert werden im Wechsel und nach Fruchtfolgeplänen: Kopfsalat, Porree, Sellerie, Lauch, Möhren, Buschbohnen und Kohl, dazu Mangold und Artischocken. Was heute käuflich erworben werden kann, diente früher der Selbstversorgung und ästhetischem Augenreiz. Entlang der Mauer wuchern auch Färbepflanzen für Kosmetika, Lebensmittel und Papier. Im Frühsommer spielen dazu duftende Hochstammrosen der alten Art eine Hauptrolle neben Kokarden, Salbeiarten, sternförmigen Gazanien, Buntnessel und Sonnenhut. Samt historischen Springbrunnen und Putten der Balustrade (Originale in Wolfsgarten) fügt sich alles zum Gartenparadies, das demonstriert, wie autark und kultiviert das Leben der Mönche ablief. Pionier Fürst Franz von Anhalt-Dessau formulierte das Ziel solcher Gartenkunst in Wörlitz: „Die Gärten sollten vom Nützlichen zum Schönen gelangen.“ Darüber wachen auf dem Tor an der Aschaffenburger Straße mit Minerva die Schutzgöttin der Wissenschaften und Künste sowie die allegorischen Figuren der Flora und Pomona als Sinnbilder für Gartenbaukultur und Obstbau.

Die Seligenstädter Klostergärten sind täglich bis 20 Uhr oder Sonnenuntergang frei zugänglich.

VON REINHOLD GRIES

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