21-Jähriger erlitt durch Stich in den Bauch lebensgefährliche Verletzungen 50-Jähriger muss für Messerattacke für 28 Monate ins Gefängnis

Rechtsanwalt Talat Bay hatte moniert, manche Zeugen hätten erst lange nach der Tat belastend ausgesagt, und für seinen Mandanten Freispruch gefordert.

Dietzenbach (man) – Viele Aussagen und noch mehr Versionen bekam das Schöffengericht in Offenbach an beiden Verhandlungstagen zu hören. Nach zwei langen Verhandlungstagen verurteilten Richter Manfred Beck und die beiden Schöffen unlängst einen 50-jährigen zu 28 Monaten Gefängnis, weil er aus der Sicht des Gerichts in der Nacht zum 20. Oktober 2018 am Masayaplatz in Dietzenbach einen 21-Jährigen mit einem Messerstich in den Bauch lebensgefährlich verletzte.

Der Nebenkläger erzählte, in besagter Nacht habe er mit Freunden auf dem Masayaplatz an der S-Bahn-Station Dietzenbach Mitte „gechillt“. Zwischendurch habe er sich mit zwei anderen absentiert. Wieder zurück, habe er lautstarken Streit vernommen. Er habe gesehen, dass ein älterer Mann am Kopf blutete. Worum es ging, habe er nicht gewusst, „ich verstehe kein türkisch“. Plötzlich sei der Angeklagte auf ihn zu gerannt und habe ihm ein Messer in den Bauch gestoßen. „Ich bin zu hundert Prozent sicher, dass er es war“, erklärte der Geschädigte, der ohne Notoperation verstorben wäre.

Es folgte ein Zeuge nach dem anderen. Etwa der 23-jährige E., der gerade in U-Haft sitzt. Er berichtete, zwei besoffene Männer hätten die Jugendlichen angepöbelt. Im Gefühl, einer schlüge gleich zu, habe er ihn präventiv auf den Boden geworfen, wobei der sich am Kopf verletzt habe. Im Saal herrschte kollektive Teilamnesie. Außerdem widersprachen sich fast alle Zeugen zum einen schon im nächsten Satz, zum anderen divergierten ihre Aussagen mit jenen, die kurz nach der Tat die Polizei notiert hatte. Zeuge K. erzählte in der Tatnacht, er habe den Angeklagten auf den Geschädigten stechen sehen, dann korrigierte er, es sei der andere Mann mit dem roten Oberteil gewesen, um nach einem halben Jahr wieder zu erklären, er habe doch den Angeklagten gesehen.

Vorlagen, die Verteidiger Talat Bay gerne aufnahm, der auch einem 19-jährigen Schüler vorhielt, bei der Polizei erklärt zu haben, nichts gesehen zu haben. Jetzt betone er, beobachtet zu haben, wie der Angeklagte auf seinen Kumpel einstach.

Alle Aussagen zusammen genommen, könnte sich die Situation wie folgt abgespielt haben: Zwei besoffene Männer verließen ein Wettbüro und gerieten mit ebenfalls nicht nüchternen jungen Männern in verbalen Konflikt, der zwischen einem 46-jährigen und dem 23-Jährigen in eine kurze körperliche Auseinandersetzung mündete. Ein Zeuge sagt aus, gehört zu haben, wie der 46-Jährige im Anschluss an die Keilerei den Angeklagten in türkischer Sprache mit der Bitte anrief, er solle eine Schießwaffe vorbeibringen, er wolle jetzt alle umbringen.

Kurz darauf erschien jedenfalls der Angeklagte mit 1,5 Promille intus, wie sich später herausstellte. Zeugen erzählten, alle seien auf der Flucht vor dessen Messer abgehauen. Nur der Geschädigte habe nicht reagiert. Später stellten drei der jungen Männer den mutmaßlichen Angreifer, den die Polizei schließlich übernahm. Ein Messer trug der Angeklagte jedoch nicht bei sich.

Das Problem des Prozesses benannte Richter Manfred Beck in seiner Urteilsbegründung, „es krankte daran, dass sich das Messer nicht fand“.

Schwierig gestalteten sich auch die Aussagen der überwiegend vorbestraften Zeugen. Ein weiterer 19-jähriger erklärte, der Angeklagte habe ihm im Imbiss seiner Lebensgefährtin Hausverbot erteilt. Auch andere erzählten von Dissonanzen mit dem Mann, stets beteuernd, „obwohl ich gar nichts gemacht habe“.

Der 50-Jährige, der die Tat bestreitet, erzählte, wie der Zeuge als noch Minderjähriger im Imbiss Geld in einen Spielautomaten warf. Seinen Hinweis auf das gesetzliche Verbot habe er mit „wer bist du, bist du Bürgermeister?“ erwidert. Nebenklagevertreter Karl Kühne-Geiling sprach von einem gewissen Verständnis für den Mann, der den Imbiss seiner Lebensgefährtin ständig gegen nervende junge Männer verteidigen müsse. Aber man dürfe nicht handeln wie Michael Kohlhaas in der Kleist-Novelle, „aus dem Unrecht wird durch Selbstjustiz ein viel größeres“.

Staatsanwältin Maiza thematisierte die Zeugenproblematik. Sicher habe sich etwa der Zeuge K. widersprochen, der erst den Angeklagten, dann einen anderen, dann wieder den Angeklagten als den angab, der den 21-Jährigen verletzte. Entscheidend seien die Aussagen des Geschädigten und eines weiteren Zeugen. Beide betonten, den Angeklagten zu hundert Prozent als Täter erkannt zu haben. Letztlich bündelten sich alle Aussagen darin, „dass der Angeklagte der Täter ist“.

Rechtsanwalt Bay vermutete, die Zeugen hätten sich auf seinen Mandaten als Täter geeinigt. Den Rechtsanwalt wunderte es, „dass alles, was ihnen später erst einfiel, nur belastend ist“.

Der Geschädigte selbst habe der Polizei im Krankenhaus anfangs gesagt, keine Anzeige erstatten zu wollen, „das kläre ich mit ihm selbst“. Die Aussage mache keinen Sinn über jemanden, den man quasi nicht kennt, „der Geschädigte hatte mit meinem Mandanten nie irgendeinen Stress“.

Weil ihm die Jugendlichen das Nasenbein und den Augenhöhlenboden brachen, „hielten sie es für angebracht, sich auf ihn als Täter zu einigen“.

Der Verteidiger forderte Freispruch, Staatsanwältin Natascha Maiza 32 Monate Gefängnishaft. Der Richter und die Schöffen verhängten 28 Monate. Beck folgte Nebenklagevertreter Karl Kühne-Geiling, der davon gesprochen hatte, wie aus unterschiedlichen Kameraperspektiven, hätten auch die Zeugen das Geschehen aus verschiedenen Winkeln wahrgenommen, „so setzte sich ein Bild zusammen“.

Durch die gut 1,5 Promille sei der Angeklagte nur bedingt zurechnungsfähig gewesen, folgte Beck der Staatsanwältin in dem Punkt. Der Geschädigte habe keinen Grund, einen falschen Täter zu nennen: „Sie haben Glück, dass er noch lebt.“