Naturbelassene Wiesen statt pollenlose Zierpflanzen Dietzenbach will Natur helfen, zu überleben

Christoph Köhler von der Grünflächenbewirtschaftung und die Imkerin Gisela Schiratis-Erlat wissen, dass sie Geduld haben müssen, um Dietzenbach „wilder“ zu machen. Foto: Spiegel/p

Dietzenbach (red) – Vor dem Rathaus summt und brummt es, im Hessentagspark flattern bunte Schmetterlinge und auf dem Geschichtspfad finden sich Kräuter, wie sie nur noch selten vorkommen. Dietzenbach wird „wild“ und hilft damit der Natur zu überleben.

Den Angaben zufolge sind an manchen Stellen die Projekte noch im Versuchsstadium, andernorts

wüssten die Gärtner der Städtischen Betriebe bereits genau, welche Anpflanzungen am besten funktionierten. Seit mehreren Jahren folgten sie einem Konzept, das naturbelassene Wiesen und eingesäte Blühwiesen im urbanen Raum vorsehe.

Michael Würz, Technischer Betriebsleiter der Städtischen Betriebe, ist davon überzeugt, dass eine solche Art von Grün in der Stadt die Zukunft ist. „Dabei geht es nicht nur ums Geld“, stellt er fest. Auch alle aktuellen Erkenntnisse aus wissenschaftlichen

Untersuchungen zur Stadtgärtnerei deuteten in diese Richtung.

„Wir werden uns an das andere Aussehen des Stadtgrüns gewöhnen und die schönen Wildblumen irgendwann nicht mehr missen wollen“, sagt er.

Eine entsprechende Beschilderung werde demnächst auf die Modellbeete hinweisen. Dabei bedeute der Pflanzwechsel in der Stadt auch, die Insektenwelt und damit die Welt für den Menschen zu erhalten. Bestäubende Insekten wie Bienen, Hummeln und Schmetterlinge seien überlebenswichtig. Mehr als 80 Prozent der Pflanzen benötigten Fremdbestäubung, damit der Kreislauf von der Natur zur menschlichen Nahrung erhalten bleibe. Das funktioniere nicht mit nagelscherengeschnittenem

Rasen und einer schön gezüchteten, aber pollenlosen Zierpflanze, die keine Nahrung biete. Oder mit kurz geschorenen Wiesenflächen.

„Wir mähen jetzt wenig und mähen spät, damit die Pflanzen ihren Samen auswerfen können“, erklärt Christoph Köhler, Mitarbeiter der Grünflächenbewirtschaftung. Indes erfordere es Geduld, naturnah zu gestalten und damit die Lebensvielfalt zu fördern. Hinter einer der Haupteinfallstraßen hat Köhler mit seinem Team ein „Fünf-Sterne-Wellness-Hotel“ für Bienen und weitere Insekten wachsen lassen.

Wo früher noch eine im Sommer trostlos gelbe Wiesenfläche war, blühen jetzt Schafgarbe, Kleinköpfiger Pippau, Margeriten, und wilde Mininelken und es tummeln sich Schmetterlinge, Hummeln und Wildbienen.

„So habe ich das in Dietzenbach schon lange nicht mehr gesehen“, stellt Imkerin Gisela Schiratis-Erlat fest, die einige Projekte der Stadtgärtner mitbegleitet. Mindestens 560 unterschiedliche Wildblumen-Arten kann sie inzwischen im Stadtgebiet ausmachen. Dass weniger gemäht werde, möge mancher als ungepflegt und unordentlich empfinden. „Wer einen englischen Rasen bevorzugt, stöhnt vielleicht auf, aber wir haben Erfolg und es ist der einzige Weg, den wir unserer Umwelt zuliebe noch gehen können“, sagt Köhler.

So gibt es auch an anderen Stellen in der Stadt völlig neue Blütenschönheiten

zuhauf zu entdecken. Richtung Geschichtspfad steht zum ersten Mal ein riesiges Kornblumenfeld und das Areal rund um den Pfad entpuppt sich als Wildkräuteroase, wie es sie kaum noch gibt. Es wachsen Thymian und Salbei, Oregano und Estragon, und dazwischen Storchenschnabel. Ein Paradies also nicht nur für

Menschen, sondern auch für viele Tiere. „Salbei etwa ist eine Lieblingsspeise der Bienen“, sagt Schiratis-Erlat. Mitten zwischen allem Blühenden liegt ein umgefallener Baum. Auch Totholz habe schließlich in der Natur seinen Platz, betont die Bienenspezialistin.

„Wir sind erst am Anfang und müssen Geduld haben, vor allem aber freuen wir uns, wenn wir unter den Bewohnern viele Unterstützer unserer Wild- und Bienenblumenprojekte finden“, sagt Christoph Köhler.

Das gelte etwa auch für eine Wildblumenwiese, angelegt in einem Wohngebiet in Steinberg. „Da waren wir zugegebenermaßen spät an, so dass es im Blumenfeld noch ein bisschen wie Unkraut aussieht“, gesteht der Gärtner ein. Dafür werde es in der Blütezeit eine wahre Bereicherung des Stadtgrüns sein