Gökhan Cengiz erzählt von seinem Freund Sedat Gürbüz und dem Anschlag In Gedanken lebendig

Zusammen aufgewachsen sind Sedat Gürbüz (links) und Gökhan Cengiz. Dabei fällt es Cengiz auch heute noch schwer zu begreifen, warum sein Freund sterben musste. Bild: privat

Dietzenbach – Noch einmal seinen Freund Sedat Gürbüz umarmen, das wünscht sich Gökhan Cengiz. Die Gelegenheit dazu wird er nicht bekommen. Gemeinsam mit acht weiteren Menschen wurde Gürbüz bei dem Hanau-Attentat am 19. Februar 2020 brutal aus dem Leben gerissen. Die Lücke, die er bei seiner Familie, aber auch seinen Freunden hinterlassen hat, ist groß.

So hat etwa Cengiz beinahe sein gesamtes Leben mit dem damals 29-Jährigen verbracht. „Wir haben uns im Alter von zehn Jahren bei einem gemeinsamen Freund kennengelernt“, erzählt der Dietzenbacher. Seither waren sie regelmäßig unterwegs. Spielten als Jugendliche sonntags Fußball im Soccer-Cage in Langen oder im Dietzenbacher Waldschwimmbad. Großes Vorbild der beiden war der Portugiese Cristiano Ronaldo, wie Cengiz berichtet. Später dann verbrachten die jungen Männer viel Zeit mit Kartenspielen in Cafés. „Ich habe dabei Sedat immer als Partner gewählt“, fährt er in seiner Erzählung fort. Allerdings habe sie das Glück häufiger verlassen. „Aber das war nicht schlimm, da wir einfach froh waren, miteinander Zeit zu verbringen.“ Auch sein erstes Cabrio habe er mit Sedat Gürbüz bei einer gemeinsamen Spritztour eingeweiht.

Erst in den letzten beiden Lebensjahren von Gürbüz, die er meist an seiner Arbeitsstelle in Hanau verbracht habe, sei der Kontakt weniger geworden. Doch auch damals haben die beiden immer wieder etwas voneinander gehört. „Kurz vor seinem Tod wollte er mich unbedingt sehen“, erinnert sich Cengiz. Dabei habe Gürbüz, der in Hanau die „Midnight“-Bar betrieb, ihm erzählt, dass er aus Hanau weg wolle, da er sich dort nicht wohlfühle. Es war das letzte Mal, dass Cengiz seinen Freund getroffen hat.

Drei Wochen später erschießt der rassistische Attentäter Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtovic, Vili Viorel Paun, Fatih Saraçoglu, Ferhat Unvar und Kalojan Velkov. Sedats Kumpel war, wie er berichtet, an diesem 19. Februar ebenfalls in Hanau. Allerdings sei er mit Freunden in einem anderen Restaurant gewesen. Da er am nächsten Tag arbeiten muss, ist Cengiz bereits um 9 Uhr wieder in Dietzenbach.

Als es rund eine Stunde später zu dem Anschlag kommt, schläft er bereits auf seiner Couch. Als Gökhan Cengiz gegen Mitternacht aufwacht, begreift er zunächst nicht, was er auf dem Display seines Smartphones sieht. „Ich hatte zahlreiche Anrufe und Nachrichten“, sagt er. Sie alle teilen ihm mit, dass sein Freund Sedat nicht mehr lebt. Doch erst als er in den Sozialen Medien die Beileidsbekundungen liest, beginnt er zu verstehen. Noch in der gleichen Nacht trifft er sich mit Freunden vor einem Supermarkt in der Dietzenbacher Altstadt. „Wir standen unter Schock“, sagt Cengiz. Sie hätten sich dann zwei Stunden lang über die brutale Tat unterhalten. Und auch heute fällt es ihm noch sichtlich schwer, zu begreifen, was damals geschehen ist. „Ich verstehe nicht, warum jemand einfach in eine Bar geht und Menschen erschießt“, versucht er seine Gefühlslage in Worte zu fassen. Er habe immer geglaubt, dass so etwas nur in Filmen geschehe. Ebenso unbegreiflich ist es für ihn, warum der Täter sich dazu entschieden hat, Sedat Gürbüz umzubringen.

An seinen Freund muss Cengiz auch heute noch oft denken. „Ich habe immer seine Art zu reden und zu lachen vor Augen“, sagt er und für einen kurzen Moment lässt seine Mimik erahnen, welchen Schmerz der Verlust wohl in ihm auslöst.

Von Anna Scholze