Freiwilliges soziales Jahr läuft für junge Nicaraguaner aus Gemischte Gefühle vor der Rückkehr nach Masaya

Die Architektin Reyna Sandino und Gordy Sanchez verweilen seit dem vergangenen August im Zuge des Freiwilligendienstes „Weltwärts“ in Dietzenbach. Demnächst geht es für die beiden Nicaraguaner zurück in die Heimat. Foto: Wittekopf

Dietzenbach (bw) – Derzeit verweilen drei freiwillige Jugendliche aus der Partnerstadt Masaya, Nicaragua in Dietzenbach. Sie berichten von den Unruhen in Nicaragua, den täglichen Demonstrationen, der Gewalt auf den Straßen mit vielen toten Menschen und ihren Erfahrungen, die sie in den vergangenen zehn Monaten in Dietzenbach gemacht haben.

Seit 2008 gibt es das den Freiwilligendienst „Weltwärts“, der vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) gefördert wird. Deutsche Jugendliche verbringen mehrere Monate im Ausland und engagieren sich sozialpolitisch vor Ort, sei es als Helfer in einem Krankenhaus in Tansania, oder eben anderen sozialen Einrichtungen. Hintergrund ist der kulturelle Austausch mit dem jeweiligen Land. Viele Jugendliche, die im Ausland leben, können an dem Programm ebenfalls teilnehmen. Sie engagieren sich in Deutschland als freiwillige Helfer und arbeiten in sozialen Einrichtungen. Mehr als 34.000 Jugendliche haben das Programm bereits genutzt.

Seitdem vergangenen August sind drei Jugendliche aus der Partnerstadt Masaya in Nicaragua in Dietzenbach. Mit zwei von ihnen, der Architektin Reyna Sandino (23) und Gordy Sanchez (20) konnten wir über ihre Erfahrungen sprechen.

Die beiden Mittelamerikaner wohnen im Zentrum von Masaya. Durch eine Cousine, deren Freundin am Weltwärts Programm vor einigen Jahren teilgenommen hatte, ist Sandino auf Dietzenbach aufmerksam geworden.

„Ich habe mich erkundigt und es hat mich sofort interessiert, ich wollte unbedingt ins Ausland und Deutschland hat mich schon immer interessiert“, erzählt sie.

Ihr Vater sei früher ein paar Monate in Deutschland gewesen und es hat ihm gefallen.

Auch Sanchez hat sich für das Westwärts-Programm beworben. Er hat sich im Internet und bei Freunden informiert und die Aussicht nach Deutschland zu kommen, hat ihm sofort gefallen.

Zur Vorbereitung hatten die beiden regelmäßig Kontakt mit Jugendlichen aus Deutschland. Zweimal in der Woche besuchten sie in Masaya einen Deutschkurs.

Doch dann kamen Unruhen auf und die Lage vor Ort wurde gefährlich. Die Regierung von Daniel Ortega, Präsident von Nicaragua, erhöhte die Steuern und senkte die Renten.

In der Folge kam es im April 2018 zu den ersten Protesten, die sich zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen hochschaukelten. Die Polizei griff brutal durch, viele Menschen starben bei den Unruhen auf der Straße. Auch Sandino und Sanchez gerieten in die Konfrontation und konnten ihr normales Leben nicht mehr weiterleben. Die Deutschstunden wurden eingestellt, die Universitäten sind geschlossen. Aus Sicherheitsgründen holte das Bundesministerium die deutschen Weltwärts-Freiwilligen, die sich in Nicaragua befanden, nach Deutschland zurück, damit war auch dieser Kontakt nicht mehr erreichbar. Sanchez erzählt, dass der Weg zur Arbeit immer schwerer wurde, da die Barrikaden alle Straßen versperrten. Sein schlimmstes Erlebnis war die Erschießung eines Studenten direkt in seiner Nähe. Schließlich beruhigte sich die Lage etwas. Doch auch ein Jahr nach den Vorfällen fällt es den beiden schwer, darüber zu sprechen. Schließlich konnten sie ihre Reise nach Deutschland wie geplant antreten. Hier in Dietzenbach angekommen konnten sie sich erst einmal einige Zeit dank der Hilfe der Gastfamilien an Deutschland gewöhnen. „Die Sprache war am Anfang schon ein großes Problem“, erzählt Sandino. „Ich hatte Kopfschmerzen, da die Menschen auf mich eingeredet haben und ich immer zwischen Spanisch und Deutsch umschalten musste“, erzählt sie. Doch schnell fanden sie sich in ihrer neuen Umgebung zurecht. Beide arbeiten als Betreuer in Dietzenbacher Kindertagesstätten. Sandino in der Kita II - Brunnenstraße und Sanchez in der Kita XI - Stiergraben. „Wir arbeiten dort bis 16 Uhr“, erzählen sie. Danach geht es dreimal die Woche in die Ernst-Reuter-Schule in den Deutschkurs. 2,5 Stunden sind das täglich und um 21 Uhr abends sind die beiden dann schon geschafft. Die Arbeit macht ihnen viel Spaß und die Sprachprobleme sind inzwischen überwunden. Das Wochenende nutzen sie um Europa kennen zu lernen.

„Europa ist so toll“, sagt Sanchez. „Ihr lebt hier so friedlich und man kann einfach ohne Pass reisen.“ Berlin, Paris, Luxemburg und Straßburg sind die Reisen, die im Weltwärts-Programm Pflicht sind, aber auch viele andere Länder konnten sie mit ihrer Gastfamilie und in Eigenregie besuchen. „Ich fühle mich in Europa sehr sicher“, sagt Sandino.

In Deutschland fühlen sie sich sehr wohl, auch wenn die kulturellen Unterschiede groß sind. „In Nicaragua sind die Menschen viel offener, hier ist alles so geregelt“, erzählen beide. „Wir gehen raus und reden viel mit den Nachbarn, hier in Deutschland sitzen die Menschen eher in ihrem Garten.“ Und in Punkte Party macht den Nicaraguanern keiner etwas vor. „Wir feiern und tanzen sehr gerne und hören dabei bis tief in die Nacht laute Musik“, erzählt Sandino. „Deshalb feiern wir immer am Samstag, damit wir am Sonntag ausschlafen können.“

Beide sind von dem Weltwärts-Programm sehr überzeugt und können es jedem sehr empfehlen.

Im August läuft ihr freiwilliges soziales Jahr aus. Es fällt ihnen sichtlich nicht leicht, nach Hause zurückzukehren.

„Es gibt derzeit kaum Arbeitsplätze“, sagt Sanchez. Er hofft, dass er Sprachen studieren kann und möchte als Lehrer arbeiten. Sandino möchte in ihrem Beruf als Architektin Fuß fassen, aber das sei alles eben nicht so einfach.