Neue Selbsthilfegruppe „Narcotics Anonymus“ trifft sich im Stadtteilzentrum Jeder, der möchte, erzählt von sich und seinen Erfahrungen

Dietzenbach (scho) – „Ich habe nie einen Rückfall gehabt, aber es ist mir noch immer eine Freude, ins Meeting zu gehen.“ Seit mehr als 40 Jahren hat Gerd keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt. Damals, während des Studiums, hatte der spätere Lehrer eine Phase, in der die Lust am Trinken größer war als die zum Studieren. Um vom Rausch wegzukommen, wählte er mutig den Weg zu „Narcotics Anonymus“ (NA), einer Selbsthilfegruppe von Menschen, die von stofflichen Drogen abhängig geworden sind, also von Alkohol, Rauschgiften oder Medikamenten. Nachdem er über Jahrzehnte regelmäßig die Gruppenzusammenkünfte besucht hat, hat er nun selbst ein Treffen gegründet. Das neue Meeting in Dietzenbach findet mittwochs ab 20 Uhr im Stadtteilzentrum in der Wilhelm-Leuschner-Straße 33 statt.

„Die Initiative ist zugegebenermaßen ein bisschen egoistisch, ich nehme mal an, dass ich hier in der Stadt weiterhin alt werde und finde es ganz gut, wenn ich nicht mehr nach Frankfurt oder Darmstadt zu den Treffen fahren muss“, sagt der 70-Jährige

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Doch bereits die ersten Meetings haben den Bedarf aufgezeigt und mehrere Teilnehmer angelockt. So wie überall auf der Welt bei den NA folgt auch das Dietzenbacher Meeting einem bestimmten Rhythmus. Gerd als der sogenannte Chairman ist für die Regularien verantwortlich, schließt die Tür auf, verliest die Präambel und schaut in der Runde, dass jeder zu Wort kommt. Ansonsten ist die „Eingangsschwelle“ sehr niedrig. Und vor allem anonym. So soll nicht nach außen getragen werden, wer teilnimmt und worüber gesprochen wird. Man nennt lediglich den Vornamen und jeder entscheidet selbst, was und wie viel er erzählt. Kosten fallen ebenfalls keine an, zum Ende jeder Runde geht ein Topf rum und jeder wirft rein, was er kann. „Das ist für die Miete und eventuelle Literatur“, sagt der Gruppengründer.

„Die Lebensgeschichten, die ich bei den Treffen gehört habe, haben mich in der Anfangszeit am meisten beeindruckt“, betont Gerd. In seiner damaligen Lebenssituation habe er aufgrund des Alkoholkonsums beinahe „alles an die Wand gefahren“. Manchmal habe er nach den Vorlesungen nicht mehr lesen können, was er aufgeschrieben hatte. „Und dann traf ich auf einmal auf Menschen, denen es so erging wie mir.“ Entsprechend sinnvoll und zielführend empfinde er noch heute das Prozedere der Meetings.

Etwa eineinhalb Stunden dauert die Zusammenkunft, nach der Präambel geht es zu den Berichten. Jeder, der möchte, erzählt von sich und seinen Erfahrungen, von besonderen Erlebnissen oder einfach nur von der letzten Woche. Dabei sind die Themen so vielfältig wie die Menschen, die zusammenkommen: Wie gehe ich mit Rückfällen um? Wie überstehe ich das nächste Familienfest? Was bedeutet die Scham, die ich gerade empfinde? „Es geht darum, Belastungen los zu werden, wir stellen keine Fragen, geben keine Bewertungen und keine Aufträge“, sagt Gerd. Es gehe nicht um eine Hierarchie und noch nicht einmal um einen Austausch. „Bei uns kannst du nichts werden außer nüchtern“, stellt der Gruppengründer lapidar fest. Immerhin habe er schon oft erleben dürfen, dass „wahre Wunder“ passieren können. „Mancher müsste eigentlich schon tot sein und findet ein neues Leben, die Treffen haben schon etwas Spirituelles“, sagt er. Aber auch ohne spektakuläre Geschehnisse könne die Gruppe wirken: „Es ist eine Chance, das Leben wieder auf die Reihe zu bringen, wieder lachen zu dürfen und all die vielen kleinen Lügengeschichten zu lassen und vielleicht sogar aufzudecken.“

Den Schluss der Meetings macht regelmäßig der bekannte Gelassenheitsspruch mit der Bitte um Mut, Weisheit und eben Gelassenheit. „Das brauchen wir alle immer wieder“, stellt Gerd fest. Denn: „Aufhören ist schwierig genug, das größte Problem aber ist, nicht wieder anzufangen.“

Infos im Internet gibt es auf der Seite

narcotics-anonymus.de.