Drahtesel-Kurs für Migrantinnen „Fahrrad bedeutet Freiheit“

Zunächst noch etwas unsicher, aber mit viel Enthusiasmus übten die Neu-Radlerinnen auf dem Parkplatz des Jugendzentrums. Foto: zcol

Dreieich (zcol) – Fatima Alshahir hat ein breites Lächeln auf den Lippen, aber der Blick ist konzentriert auf den Asphalt auf dem Parkplatz des Jugendzentrums an der Benzstraße gerichtet. Den Lenker des kleinen Fahrrads fest in den Händen, tritt sie souverän in die Pedale und fährt schon versiert ihre Kurven. Vor dem Bremsen wird der Blick kurz ein wenig hektisch, aber die junge Frau aus Syrien bringt das Rad sicher zum Stehen.

„Das war prima“, lobt Fahrradtrainerin Christine Rhodes, als Fatima strahlend absteigt. Fünf Tage lang haben sechs Frauen aus Syrien, Somalia, Marokko und Afghanistan in Sprendlingen das Fahrradfahren geübt. Sie kamen ohne jegliche Vorkenntnisse bei Christine Rhodes an. „Es ist immer harte Arbeit, als Erwachsener etwas völlig Neues zu lernen. Aber wir gehen sehr behutsam vor und nähern uns über das Körpergefühl und das Gleichgewicht“, erläutert die erfahrene Trainerin. Zunächst haben die Damen auf dem Tretroller geübt, haben das Fahrrad geschoben, um dann die ersten Versuche mit dem Tritt in die Pedale zu machen. Das Trainieren vom Anfahren und Bremsen sei die Grundvoraussetzung, um den Drahtesel dann tatsächlich in Bewegung zu setzen, erklärt Rhodes.

Kurven fahren, abbiegen, bremsen, das klappt bei Fatima und ihren Mitstreiterinnen schon sehr gut. Die Sprache sei dabei übrigens kein Problem, auch wenn manch eine der sechs Neu-Radlerinnen noch kaum Deutsch spricht. „Wir verständigen und schon. Das wichtigste ist die Motivation, es zu lernen und Spaß an der Sache. Das war in dieser Woche sehr schön. Es war eine gute Gruppe, die toll mitgearbeitet hat“, lobt Rhodes die Damen.

In den Heimatländern der Kursteilnehmerinnen ist das Radfahren nicht unbedingt üblich, und schon gar nicht für Frauen. „Aber ich will es schon lange lernen. Ich kann meinen Sohn dann mit dem Rad zum Fußball bringen, bin zeitlich flexibler mit dem Rad und spare mir auch noch das Geld für den Bus“, sagt Hajina Hajji aus Marokko.

Es tue ihr außerdem weh, wenn der Fußballverein zur Radtour mit den Kindern einlade, und sie könne eben nicht mitfahren, weil sie es nie gelernt hat, erläutert die 54-Jährige. „Das Fahrrad verschafft mir Freiheit und es motiviert mich zur Bewegung. Außerdem können mich meine Freunde jetzt nicht mehr auslachen, weil ich nicht Rad fahren kann“, nennt Yasmin Hlal ihre Motivation zu dem Fahrradkurs. Die 27 Jahre alte Frau aus Syrien gibt aber auch zu: „Ich hatte große Angst vor dem Rad. Aber es hat mir jetzt einen solchen Spaß gemacht und ich bin froh, dass wir es gelernt haben“, sagt sie. Christine Rhodes warnt vor zu viel Euphorie. Die Damen haben jetzt die Grundlagen gelegt: „Nun müssen sie aber auch dranbleiben und weiter üben. Am besten auf Parkplätzen und in ruhigen Straßen“, rät die Trainerin. Für den Herbst ist ein Aufbaukurs geplant, der dann auch die Straßenverkehrsregeln behandeln soll.

Die Finanzierung des Angebots für die Migrantinnen wurde durch eine Spende ermöglicht: Stadtverordnetenvorsteherin Bettina Schmitt hatte den größten Teil des 1.000 Euro teuren Kurses anlässlich ihres Geburtstags im vergangenen Jahr finanziert.

Der Rest kam aus dem Programm „Integration und Sport“ aus dem Etat des Hessischen Sozialministeriums. „Ich finde es wichtig, dass die Frauen Rad fahren können. Das Fahrrad bedeutet Freiheit und Mobilität“, begründet Schmitt ihr Engagement. Auch Karin Scholl vom Integrationsbüro begrüßt den Fahrradkurs. „Wir hatten das Angebot auch 2010 und 2011. Damals wurde es noch etwas belächelt. Aber das Fahrrad verschafft Mobilität. Die Frauen können sich so in der Stadt besser bewegen. Zum Einkaufen oder auch zu Elternabenden.“ Auf Begeisterung stößt das Programm auch beim ADFC: „Wir finden das ein tolles Programm. Jeder Dreieicher mehr, der in den Fahrradsattel steigt, ist für uns ein Gewinn“, betont Dieter Fröhlich, Radfahrbeauftragte der Stadt. Er wolle sich für eine Fortsetzung des Programms einsetzen.

Für eine fahrradfreundliche Stadt sei es sinnvoll, solche Kurse ins Standardprogramm aufzunehmen. „Wir vom ADFC sind auch bereit, die Kurse zu unterstützen“, kündigt Fröhlich an. Der Vorstand habe auch schon beraten, wie eine Unterstützung aussehen könnte. „Für diese Damen ist der Aufbaukurs zu den Straßenverkehrsregeln auf jeden Fall sehr sinnvoll“, sagt der Radverkehrsbeauftragte abschließend.