Ibrahim Arslan berichtet in der Heinrich-Heine Schule von den Mordanschlägen von Mölln Rassismus ist für viele Alltag

Ibrahim Arslan war sieben Jahre alt, als seine Großmutter, seine Schwester und seine Cousine von Neonazis ermordet wurden. Foto: zcol

Dreieich (zcol) – Ibrahim Arslan hat das erlebt, was derzeit wieder in aller Munde ist: Rassismus in seiner allerschlimmsten Ausprägung. Er war sieben Jahre alt, als am 23. November 1992 zwei rechtsradikale Männer Molotowcocktails auf das Haus der Familie Arslan im schleswig-holsteinischen Mölln warfen und es in Brand steckten. Seine Großmutter Bahide, seine Schwester Yeliz und seine Cousine Ayse verloren bei dem schrecklichen Attentat ihr Leben.

Seine Geschichte und wie der Alltag der Familie nach diesen traumatischen Ereignissen weiterging, hat der junge Mann in der Heinrich-Heine-Schule erzählt.

Eine neunte und zwei zehnte Klassen erfuhren über den Dokumentarfilm „Nach dem Brand“, dass die Mutter von Ibrahim, die erst ihr Baby in eine aufgespanntes Tuch warf und dann aus dem dritten Stock hinterher sprang, ihre deutsche Sprache verlor, die sie heute wieder mühsam lernt.

Der Vater von Ibrahim nimmt bis heute Antidepressiva, um mit den Folgen der Nacht fertig zu werden. Bei Ibrahim ist es ein hartnäckiger Husten, als habe sich der Rauch für immer auf seine Lungen gelegt, der ihn quält. „Ich habe irgendwann gemerkt, dass meine Symptome aus jener Nacht weniger werden, wenn ich darüber spreche, was passiert ist“, erzählt Ibrahim Arslan den Schülern, dass die Arbeit als Zeitzeuge seine Therapie sei.

In der Fragerunde beantwortet das Anschlags-Opfer, dass die Täter nach lebenslanger Gefängnisstrafe wieder auf freiem Fuß seien und er ihnen besser niemals begegnen wolle.

Und Arslan schont die Dreieicher Gesamtschüler nicht. Er rückt die Opfer rechtsradikaler Taten in den Fokus und lenkt den Blick am Beispiel der NSU-Taten auch auf das Versagen des Rechtsstaates. „Die NSU konnte elf Jahre durch Deutschland toben, es wurde nicht in die Richtung rassistischer Morde ermittelt, vielmehr wurden noch die Familien der Opfer ins Verhör genommen, sie hätten was mit den Morden zu tun“, erinnert er.

Erst die NSU-Prozesse in den vergangen zwei Jahren haben die lange erwartete Aufklärung gebracht. 190 rassistische Morde seien in Deutschland seit Mitte der 90er Jahre als solche aufgeklärt – die Dunkelziffer noch viel höher. Seit 2016 habe es 3.500 Angriffe auf Geflüchtete und ihre Helfer in Deutschland gegeben. Rassismus und rassistische Taten seien keine Einzelfälle. „Im Fernsehen und in den Zeitungen sind immer die Gesichter der Täter zu sehen. Jeder weiß wie Beate Zschäpe aussieht. Niemand kennt ihre Opfer, Enver Simsek oder Abdurrahim Özüdogru“, sagt Arslan. Das gelte es zu ändern. Er wolle „die Rolle des Opfers, die ja mit Schwäche gefüllt ist, mit Stärke befüllen.“ Doch der Zeitzeuge spricht nicht nur selbst. Er lässt die Schüler immer wieder von den eigenen Erfahrungen berichten.

Die Schüler beweisen mit ihren Erlebnissen: Rassismus ist auch in Sprendlingen durchaus Alltag. Da erzählt ein Junge, dass er als deutsch Aussehender nicht von der Polizei gefilzt wurde, während seine Freunde mit Migrationshintergrund durchsucht wurden. Ein junges Mädchen mit langen Locken und dunklen Augen berichtet, wie sie ein neuer Nachbar mit „Scheiß-Ausländerin“ beschimpft habe und einer der Jungs erntet Lacher von seinem Jahrgang, weil beim Essengehen mit seiner Oma der Tischnachbar kommentierte, dass seine Oma „offensichtlich auch ein großes Herz habe und einen der kleinen Flüchtlinge aufgenommen hat.“

Ibrahim Arslan ruft zum Schluss der vier Schulstunden dazu auf, genau hinzusehen und gemeinsam die Welt zu verändern. „Rassismus ist überall. Nur wir haben die Chance, etwas dagegen zu tun. Wie müssen darauf aufmerksam machen, uns mit Opfern solidarisieren, nur so können wir langfristig etwas verändern“, ist Ibrahim Arslan überzeugt.

Das spannende und für die Schüler sicher sehr nachhaltige Zeitzeugengespräch hat Ilse El Badawi, ehemalige Lehrerin der Heine-Schule und Vorstandsmitglied des bundesweit agierenden Vereins „Gegen Vergessen – für Demokratie“ ermöglicht. Sie hat Ibrahim Arslan an die Europaschule eingeladen. Das Projekt wird mit einer Lehrer-Fortbildung und einer Nachbereitung für die Schüler flankiert.