Gymnasiasten erfahren die Geschichten der NSU-Opfer / Fragen nach „strukturellem Rassismus“ Beklemmendes auf der Schulbühne

Gemeinsam mit der Initiative „Bunt statt Braun“ Kreis Offenbach sowie „Demokratie leben“ präsentierte das Adolf-Reichwein-Gymnasium das dokumentarische Theaterstück „Die NSU-Monologe“, aufgeführt von der „Bühne für Menschenrechte. Foto: bw

Heusenstamm (bw) – Kann man der Polizei noch vertrauen oder gibt es in den Reihen der Exekutive „strukturellen Rassismus?“

Am Heusenstammer Adolf-Reichwein Gymnasium (ARG) ist man unlängst dieser Frage nachgegangen.

Gemeinsam mit der Initiative „Bunt statt Braun“ Kreis Offenbach sowie „Demokratie leben“ präsentierte das Adolf-Reichwein-Gymnasium das dokumentarische Theaterstück „Die NSU-Monologe“, aufgeführt von der „Bühne für Menschenrechte“.

Der NSU-Prozess hat die Bevölkerung in Deutschland mehr als fünf Jahre (2013-2018) beschäftigt. Fünf Personen, darunter Beate Zschäpe, wurden angeklagt, an den Morden der rechtsextremen Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) beteiligt gewesen zu sein.

Auch wenn die Urteile inzwischen verkündet sind, finden die Angehörigen der Opfer keine Ruhe. Es bleibt der Kampf der Hinterbliebenen um die Wahrheit. Sie beklagen, dass die Polizei viel zu lange in die falsche Richtung ermittelt hat. Nach wie vor gelten die zehn zwischen 2000 und 2006 verübten, rassistisch motivierten Morde an Menschen mit Migrationshintergrund, davon acht türkischstämmige, eine Polizistin und ein Mensch aus Griechenland, als nicht vollständig aufgeklärt.

Anwälte geben den Sicherheitsbehörden Mitschuld an den Morden. Eine Nebenklagevertreterin wirft dem Verfassungsschutz vor, die Suche nach Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt gezielt behindert zu haben. Der Begriff „struktureller Rassismus“ steht im Raum.

Vier Schauspieler schlüpfen in die Rollen von Hinterbliebenen und erzählen ganz persönliche Geschichten – beginnend in ihrem Heimatland. Sie lernen die später Ermordeten kennen, gründen Familien und wandern nach Deutschland aus, wo sie sich eine Zukunft aufbauen. Dann passieren die Morde.

Hautnah erlebten die Schüler im Publikum die beklemmenden Geschichten von Elif Kubasik und Adile Simsek, die ihre Ehemänner verloren, sowie von Ismail Yozgat, der um seinen Sohn trauert. Mehr als 90 Minuten dauerte die packende, perfekt inszenierte und schauspielerisch großartige Aufführung.

Anfangs heiter und lebenslustig erzählt, wird der Betrachter immer mehr mit der Frage konfrontiert: „Gibt es strukturellen Rassismus?“ Die Wortwahl ist bewusst gewählt und beinhaltet die Frage, ob die polizeilichen Ermittlungen von Anfang an rassistisch motiviert waren. „Ich habe der Polizei gesagt: Ermittelt gegen Nazis“, sagt Adile Simsek. „Sie meinten aber, dass das keine Nazis waren, denn die würden Spuren hinterlassen. Ein Türke hat ihn umgebracht.“

Nach der Aufführung kam es zur Diskussion mit Anwältin Seda Basay-Yildiz, die Adile Simsek als Nebenklägerin im NSU Prozess vertreten hat, Helmut Furtmann, Geschichts- und Powi-Lehrer am ARG, sowie Paul Werfel von NSU-Watch Hessen, der an vielen Sitzungen des Untersuchungsausschusses teilgenommen hat, mit dem die Rolle der Polizei und des Verfassungsschutzes geklärt werden sollte.

„Die Polizei hat von Anfang an nur in Richtung Drogenhandel und Blutfehde ermittelt“, sagte Basay-Yildiz. Doch der damalige Innenminister Volker Bouffier habe viele Unterlagen nicht freigegeben, da er die Sicherheit gefährdet gesehen habe.

Viele Fragen der Schüler wurden beantwortet. Die Frage, ob es den strukturellen Rassismus in der Polizei gibt, stellt sich Basay-Yildiz und Werfel nicht mehr.

Sie mahnen, dass man dem Staat nicht blind vertrauen dürfe, sondern alles hinterfragen müsse