Demokratie-Konferenz tagt in Heusenstamm „Wir leben in bewegten Zeiten, deswegen bewegen wir uns“

Gernot Richter und Sabine Richter-Rauch referierten unter anderem über den einstigen Adolf-Hitler-Platz und den jüdischen Friedhof . Foto: Mangold

Heusenstamm (man) – Zur jüngsten turnusmäßig veranstalteten „Demokratie Konferenz“ hatte der Kreis Offenbach nach Heusenstamm eingeladen.

Das Thema lauetet „Wir leben in bewegten Zeiten, deswegen bewegen wir uns!“

Zum Startschuss nahmen rund 20 Teilnehmer an einem historisch politischem Rundgang durch Heusenstamm teil, die ersten Minuten auch Bürgermeister Halil Öztas und der Heusenstammer Landtagsabgeordnete Ismail Tipi.

Zur Begrüßung betonte Halil Öztas, erst habe das Land den Nationalsozialismus überwunden, mit der Zeit auch den Kommunismus. Die allgemein als rechtskonservativ eingestufte AfD, die in den Bundestag ziehen dürfte, sieht der Sozialdemokrat jedoch als Warnung, den demokratischen Zustand nicht als selbstverständlich zu erachten.

Auf dem Bahnhofsvorplatz begann der Rundgang. Gernot Richter vom Heimat und Geschichtsverein ließ die Jahre Revue passieren, als ein Schild mit „Adolf-Hitler-Platz“ hier hing. Allerdings war das katholische Heusenstamm in der Weimarer Republik alles andere als eine braune Hochburg. Während in Nordhessen die NSDAP auf 50 Prozent Stimmanteil kam, „waren es in Heusenstamm gerade mal elf“. Richter nannte die entscheidende Voraussetzung für politische Turbulenzen, „eine Wirtschaftskrise, das Gift für jede Gesellschaft“. Ein Drittel der Heusenstammer habe von der Fürsorge gelebt.

Im Juli 1933 befahl das Innenministerium per Dekret: Jeder Ort müsse eine wichtige Straße oder zentralen Platz nach Hitler benennen. Eine abgelegene Gasse reichte nicht. Auf dem Hitlerplatz versammelten sich regelmäßig die Nazis. Richter erzählte von einem Gespräch mit dem Zeitzeugen Franz Stein, der mit seiner Familie dort wohnte. Dessen Vater verbot seinen Kindern, am Fenster zu stehen, wenn die Nazis aufmarschierten.

Richter erinnerte auch an Kaplan Hans Brantzen. Der predigte, die Gesetze der Kirche stünden über denen des Führerstaates. Die Gestapo hörte zu. Als 29-Jähriger kam Brantzen 1941 für dreieinhalb Jahre in den Pfarrerblock des KZ Dachau.

An der nächsten Station referierte Mario Englert über ein Ereignis, das Heusenstamm am 11. November 1982 in der Tagesschau brachte. Ermittler verhafteten Brigitte Mohnhaupt im Wald, führende Figur der zweiten RAF-Generation. „Angeblich hatten Pilzsucher die drei Depots der Organisation entdeckt“, erkläret Englert. Die Polizei observierte das Areal zwei Wochen, bis Mohnhaupt auftauchte, die dann 24 Jahre im Gefängnis verbrachte.

Von den Zuhörern erzählte ein 1965 geborener Mann aus seiner Kindheit. Die Fahndungsplakate waren omnipräsent. In den Nachrichten erschien ständig das Logo der RAF, eine Maschinenpistole von Heckler & Koch auf dem Roten Stern mit dem Schriftzug „RAF“.

Mario Englert erwähnte die 33 Toten, die der Terrororganisation zugerechnet werden, die sich nicht davor scheute, ihr Einverständnis zu geben, bei der Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut Zufallsopfer als Geiseln zu nehmen, um die Kollegen aus Stammheim zu pressen.

Sabine Richter-Rauch berichtete von dem Dilemma, in dem sich Bundeskanzler Helmut Schmidt befand, dem Entscheid zwischen Staatsraison und dem Leben von über 80 Bürgern. Schmidt hatte Glück: Nur Geiselnehmer starben bei der Landshut-Befreiung. Der Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer, einstiger SS-Untersturmführer, überlebte seine Entführung nicht.

Auf dem jüdischen Friedhof erzählte Richter-Rauch von der Emanzipation der Juden im 19. Jahrhundert, als die Obrigkeit es ihnen erlaubte, in die Zünfte einzutreten und somit Handwerksdienste anzubieten, „in Heusenstamm gab es dann einen jüdischen Glaser und einen Metzger“.

Richter-Rauch beschrieb das christliche und jüdische Miteinander „als relativ unproblematisch“. Manche Katholiken brachten Juden am Sabbat Suppe, die revanchierten sich.

Der Bruch kam 1933. Jüdische Kinder flogen etwa aus dem Turnverein. Mit der Verordnung vom 17. August 1938 dachten sich die Nazis eine besondere Demütigung aus, „die Juden mussten selbst beantragen, dass in ihren Pässen der Namenszusatz Sara oder Israel steht“.