Eva Zeidler Ensemble begeistert mit dem Stück „Die Familie, die 90 Jahre am Tisch saß und sich Nichts und Alles änderte“ „Nicht nur die Uhr, auch die Zeit ist kaputt“

Ein Tisch, darauf der Kuchen nach dem Rezept von Oma Johanna, manchmal Schlagsahne und Wein. Mehr Bühnenbild brauchte das Eva Zeidler Ensemble für die Aufführung seines neuesten Stücks „Die Familie, die 90 Jahre am Tisch saß und sich Nichts und alles änderte“ nicht. Foto: Wittekopf

Heusenstamm (bw) – Ein Tisch, darauf der Kuchen nach dem Rezept von Oma Johanna, manchmal Schlagsahne und Wein. Mehr Bühnenbild brauchte das Eva Zeidler Ensemble für die Aufführung seines neuesten Stücks „Die Familie, die 90 Jahre am Tisch saß und sich Nichts und Alles änderte“ nicht. Zeitweise stand neben der Bühne eine Videoleinwand, auf der zeitgenössische Filmszenen gezeigt wurden. Passend zur Episode, in der die Bühnenszene spielte, sah das Publikum auf einer kleinen Zusatzbühne Tänze aus der jeweiligen Zeit.

Vorab: Das Stück war äußerst gut inszeniert, die zeitlichen Episoden verliefen fließend ineinander. Die Videoeinspielungen und die Tänze unterstützten den Zuschauer in der Einordnung der Episoden. In den 90 Jahren werden neue Familienmitglieder geboren, andere sterben. Gerade dieses Thema hatte Regisseur Markus Rückert einfach und genial umgesetzt:

Auf der linken Seite der Bühne befand sich ein blau beleuchteter Vorhang, durch den ein Kindermädchen trat und Neugeborene mit Namen vorstellte. Sterbende Personen verließen kommentarlos die Bühne durch einen rot beleuchteten Vorhang, der rechts auf der Bühne stand.

Begrüßt wurden die Zuschauer auf der Bühne am Bannturm von Roland Krebs, Vorsitzender des Heimat- und Geschichtsvereins Heusenstamm, der das Theaterensemble unterstützt hatte. Mit Blick auf das populistische Unwesen, dass derzeit wieder aufkeimt, sagte er: „Wir als Verein, wollen das öffentliche Interesse an politischen Tagessituationen wachhalten. Wir dürfen Fehler, die in der Vergangenheit gemacht wurden, nicht noch mal machen und müssen gemachte Fehler korrigieren, solange es noch geht.“

Die Handlung beginnt kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Videos mit nachkolorierten Originalaufnahmen aus deutschen Großstädten zeigen Menschen, die geschäftig ihren Alltagsaufgaben nachgehen. Am Tisch sitzt Familie Röder und feiert ihr Familienfest. Mutter Röder spricht über die Zeiten, als der Kaiser noch regierte. Ihr Sohn Karl ist im Krieg gefallen, ihr Mann ist vor Kummer längst gestorben. Ihr Sohn Bernhard und Vetter Georg sitzen mit am Tisch, reden über das Familiengeschäft und essen und trinken. „Früher war das Wetter besser“, sagt Vetter Georg, ein Satz, der sich übrigens in jeder Episode wiederfindet und wie der Oma Johannas Kuchen zeitlos ist. Die Schwiegertochter Luise erfüllt die Frauenrolle, der Nachkriegszeit und sieht sich als Mutter und Hausfrau. Die Zeit schreitet voran, die beiden Kinder Otto und Emma werden geboren und Vater Bernhard, inzwischen ergraut, stirbt. Die Handlung spielt mittlerweile in der Nazi-Zeit. Die beiden Kinder sind inzwischen herangewachsen und durch die gut organisierte Hitler-Jugend längst indoktriniert. „Der Führer hat uns ein neues, starkes Deutschland versprochen“, sagt Otto und Emma fügt hinzu, dass die Juden den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen. Es kommt sogar dazu, dass die Kinder die Eltern auffordern an Nazi-Versammlungen teilzunehmen und nicht mehr bei Juden einzukaufen. Otto, inzwischen erwachsen, heiratet Gerda und Kinder werden geboren. Doch das Schicksal meint es nicht gut mit Otto, der sein Leben im Krieg verliert. Es folgt eine tief greifende und hervorragend gespielte Szene, in der Ottos Mutter den Tod ihres Sohnes beklagt. „Wie sinnlos alles ist, alles geht kaputt“, erkennt sie. Dabei blickt sie auf die Uhr an der Wand, die ebenfalls im Krieg kaputt gegangen ist. „Nicht nur die Uhr ist kaputt, sondern die Zeit ist es auch!“, fügt Vetter Georg deprimiert hinzu. Schließlich folgen die Zeit des Wirtschaftswunders, die 68 Bewegung, der Mauerfall. Das Stück endet in der Neuzeit, in der die Familie beschließt ihr Familienfest nach alter Tradition fortzusetzen, wenn auch der Oma Johanna-Kuchen mit Bio-Eiern und Dinkelmehl zubereitet wird.

„Ein sehr tiefsinniges und ganz toll inszeniertes Theaterstück“, sagte Harald Thomas. „Die Videosequenzen und die Tänze sind ebenfalls sehr gut umgesetzt.“

Rückert, Autor und Regisseur des Stücks, wollte das Thema schon lange aufgreifen. Die Aufführung, die an „The Long Christmas Dinner“ von Thornton Wilder angelehnt ist, hatte ihn schon lange fasziniert. Gerade die sprachliche Recherche hat ihn sehr beschäftigt: „Ich wollte zeitgenössische Zitate in das Stück einarbeiten.“ Die Adaption hatte er im letzten Dezember abgeschlossen. Seit Januar haben die 20 Schauspieler und zwölf Tänzer geprobt. Zum ersten Mal haben das Eva Zeidler Ensemble und das Jugendensemble zusammen auf der Bühne gestanden.