Anteil an demokratischen Prozessen Sängervereinigung Heusenstamm besteht seit 140 Jahren

In der Vortragsreihe zur Dauerausstellung des Heimat- und Geschichtsvereins gab die Vorsitzende der Sängervereinigung, Barbara Horn, einen historischen Überblick über die bewegte Vereinsgeschichte der Sänger. Foto: Roß

Heusenstamm (jro) – Die Sängervereinigung Heusenstamm zählt zu den acht ältesten Vereinen der Schlossstadt. In der Vortragsreihe zur Dauerausstellung des Heimat- und Geschichtsvereins (HGV) gab die Vorsitzende der Sängervereinigung, Barbara Horn, einen historischen Überblick über die bewegte Vereinsgeschichte der Sänger.

Es war der 26. Juli 1886, als in dem „Gasthaus zur Reichskrone“ 21 Heusenstammer Bürger den Gesangsverein Männerchor gründeten.

Diesem neuen Verein vorausgegangen war schon ein zehnjähriges Wirken der Sänger in dem Gesangsverein Harmonia, der sich aufgrund politischer Meinungsverschiedenheiten von dem Gesangsverein Konkordia abspaltete. „Unsere ältesten Wurzeln als eigenständiger Verein finden sich damit im Jahr 1876, weshalb wir in diesem Jahr auch unser 140-jähriges Bestehen feiern“, erklärte Bärbel Horn den Besuchern im Haus der Stadtgeschichte.

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war geprägt von einer gesellschaftlichen und politischen Aufbruchstimmung und die jungen Vereine hatten einen wesentlichen Anteil an den demokratischen Prozessen und dem kulturellen Leben der Gemeinde. Mit der Fahnenweihe des Männerchors im Jahr 1890 und der Teilnahme an einem Wertungssingen im Jahr 1900 etablierte sich der Männerchor immer stärker, während der parallel bestehende Gesangsverein Harmonia sich nicht so recht entwickeln konnte. Einen Tiefschlag erhielt der Gesangverein Harmonie mit kommunalpolitischen Verwerfungen im Jahr 1905, als viele Mitglieder den Verein verließen und sich im Gesangsverein Harmonie zusammenfanden.

„Die Chronik berichtet davon, dass man ‘acht Jahre lang als feindliche Brüder’ nebeneinander herlebte“, erläuterte Horn. Erst der Ausbruch des Ersten Weltkriegs, der eine gravierende Zäsur darstellte, zwang die Verantwortlichen sich über die Zukunft ihrer Vereine Gedanken zu machen. „Viele Mitglieder beider Vereine waren im Krieg gefallen“, beschrieb Horn die Situation. Die beiden Vereine Harmonie und Harmonia fusionierten schließlich im Jahr 1920 und konnten in den darauffolgenden Jahren neuerlich Preise bei Wertungssingen erringen.

Verlust der Sänger war schlimm

Die Geschichte des Männerchors hingegen verlief in wesentlich ruhigeren Bahnen. Horn zeigte das älteste erhaltene Konzertprogramm von 1907. Kaum vorstellbar sind die Dimensionen, die die Gaststätten in Heusenstamm hatten: „Der Goldene Löwe hatte einen Saal für 800 Personen, das Parlament sogar für 1000 und unser heutiges Kulturzentrum Martinsee fasst im Vergleich rund 850 Personen“, schilderte Horn die räumlichen Gegebenheiten des alten Heusenstamm. Mit knapp 100 Sängern und rund 60 passiven Mitgliedern konnte der Männerchor im Jahr 1911 sein 25-jährigesBestehen feiern. In diesem Jubiläumsjahr hatte die 2760 Einwohner zählende Gemeinde bereits vier Gesangsvereine und noch zahlreiche weitere kulturtreibende Vereine.

Den größten Einschnitt erlebten alle Vereine mit der „Gleichschaltung“ durch die Nationalsozialisten im Jahr 1934. Die Vereinsvorstände wurden ihrer Ämter enthoben und durch Nationalsozialisten ersetzt. Dies bedeutete nicht nur musikalisch einen gravierenden Rückschritt, sondern auch die kulturelle Vielfalt wurde damit praktisch ausgelöscht. Wie schon im Ersten Weltkrieg kam in den Kriegsjahren das Vereinsleben praktisch komplett zum Erliegen. Die Sänger organisierten lediglich „WHW-Konzerte“ des Winterhilfswerks oder veranstalteten Lazarettsingen. Für den Kriegswahnsinn der Nationalsozialisten mussten die Vereine ihre Pokale und Medaillen als „kriegswichtige Rohstoffe“ einschmelzen lassen und aus Kulturgütern wurden Bomben.

Aber nicht nur materielle Verluste hatte der Verein zu beklagen. Schlimmer war der Verlust der Sänger in allen Vereinen. Die wenigen verbliebenen Sänger von Harmonia, Harmonie und Männerchor schlossen sich nach dem Krieg zu einem Verein zusammen - dem „Männerchor“ und legten als Gründungsdatum, das Datum des ältesten Vereins fest. Die Nachkriegsjahre waren sowohl gesellschaftlich als auch musikalisch von einer Aufbruchstimmung geprägt. Mit Konzerten, Jubiläumsfeiern und Auslandsreisen wurde das Vereinsleben wiederbelebt.

Das Ausbleiben neuer Sänger zwang den Verein im Jahr 2010 schließlich dazu, die Ära des reinen Männerchores zu beenden und mit verschiedenen Chorzweigen als gemischter Chor weiter zu arbeiten. Mit zwei Frauen an der Spitze kann der einstige Männerchor auf sein 140-jähriges Bestehen zurückblicken. Barbara Horn als Vorsitzende und Lisa-Anna Jeck als neue Dirigentin leiten heute die Geschicke der Sängervereinigung.