Stätten für Debatten und Hetzpropaganda SPD sucht nach Spuren der Heusenstammer Kneipenlandschaft

Unter Leitung von Gernot Richter (Vierter von rechts) wollten die Teilnehmer an der Winterwanderung der SPD Heusenstamm e etwas über die Kneipenlandschaft der Schlossstadt erfahren. Foto: Roß

Heusenstamm (jro) – Eng verbunden ist die Geschichte der Heusenstammer Vereins- und Parteienlandschaft mit der Gastronomie, die einst in Heusenstamm einen hohen Stellenwert hatte. Bei ihrem Winterrundgang hatte sich die SPD Heusenstamm auf Spurensuche gemacht und ist dabei auch immer wieder auf Spuren ihrer eigenen Geschichte gestoßen.

Bei leichtem Regen begrüßt Karsten Sigl die Gruppe von rund zehn Teilnehmern, die sich auf Einladung des SPD-Ortsverbandes zu der Winterwanderung eingefunden hat. Unter Leitung von Gernot Richter wollen sie etwas über die Heusenstammer Kneipenlandschaft erfahren und Richter beginnt gleich am Bahnhofsplatz seinen Vortrag. Er verweist auf die Entstehung der Bahnverbindung nach Offenbach und merkt an, dass die Eröffnung der Bahnlinie am Ende des 19. Jahrhunderts mit der „große Zeit der SPD“ zusammenfällt.

Diese Aussage kann SPD-Bürgermeister Halil Öztas nicht unkommentiert stehen lassen und scherzt, dass die große Zeit der SPD in Heusenstamm gerade erst angefangen habe. Auf zwei Gaststätten weist Richter am Bahnhofsplatz hin. Die einstige Gaststätte „Zum Bahnhof“ ist mittlerweile zu einem Wohnhaus umgewandelt und nur der zugemauerte Eckeingang erinnert noch daran, dass das Gebäude einst für eine andere Nutzung gedacht war.

Die zweite Gaststätte „Zum Forsthaus“ gleich gegenüber der Adalbert-Stifter-Schule ist noch heute in Betrieb. „Der Name zum Forsthaus wurde gewählt, weil westlich der Bahnlinie der Heusenstammer Forst begann“, erklärt Richter den Zuhörern. Schule, Gaststätten und Bahnhof sind um das Jahr 1900 herum außerhalb des „alten Ortes“ entstanden und bildeten so etwas wie eine „Neustadt“ erläutert Richter die städtebauliche Entwicklung Heusenstamms.

Mit 30 Gaststätten für rund 2000 Einwohner hatte das alte Heusenstamm eine sehr große Zahl an gastronomischen Einrichtungen, die für die Bewohner des alten Ortes so etwas wie das „vergrößerte Wohnzimmer“ darstellten. Um den beengten Wohnbedingungen in den kleinen Häusern zu entfliehen und das gesellschaftliche und politische Leben zu pflegen, spielten die Wirtschaften eine bedeutende Rolle: Sie waren Orte für politische Debatten, für die Gründung von Vereinen und Zentren des kulturellen Lebens. Immer wieder verweist Richter auch auf die Schattenseiten in der nationalsozialistischen Diktatur, in der die Veranstaltungsräume der Gaststätten für Hetzpropaganda missbraucht und in der Folge politische Gegner verfolgt oder inhaftiert wurden. Eine weitere Station auf dem Winterrundgang ist an der Frankfurter Straße, die ebenfalls eine Reihe bedeutender Wirtschaften aufweisen konnte.

Hochs und Tiefs

Das einstige „Tivoli“, das seinen Namen von dem berühmten Kopenhagener Vergnügungparks erhalten hatte, spiegelt exemplarisch die wechselhafte Geschichte der Heusenstammer Gaststätten deutlich wider: Zunächst als Ort, in dem politisches und kulturelles Leben gepflegt wurde, später die Versammlungsstätte der Nationalsozialisten und schließlich der wirtschaftliche Untergang und Abriss in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Nur wenige der alten Gaststätten, die im 19. Jahrhundert gegründet wurden, haben die Zeit überdauert. Die einzige Wirtschaft, die schon vor 1848 bestand und heute noch als Gaststätte betrieben wird, ist der „Goldene Löwe“ am Kirchplatz: „Der Wirt des Goldenen Löwen hatte als einziger das gräfliche Privileg Bier auszuschenken und Schnaps zu brennen“, erklärt Richter und fügt kritisch an, dass er es sehr bedauere, dass der Namen des Lokals heute „Salvatore“ und nicht mehr „Goldener Löwe“ heißt.

Überhaupt findet Richter viele kritische Anmerkungen zu der nach seiner Ansicht mangelnden Bereitschaft der Heusenstammer Politik sich der dunklen Seite der Geschichte zu stellen. Auch an der geschichtlichen Bewertung von historischen Personen, wie Sebastian von Heusenstamm oder von Ereignissen wie dem Kaiserbesuch vor 250 Jahren übt Richter Kritik.

Vor der einstigen Gaststätte „Zum weißen Ross“ in der Borngasse endet schließlich der Winterrundgang der Genossen.