Im Horst-Schmidt-Haus wurde 100-jähriges Bestehen der Arbeiterwohlfahrt gefeiert Wichtige Anlaufstelle für Menschen in Not

Die Mitarbeiter des Horst-Schmidt-Hauses tanzten mit Bewohnern, schoben Rollstühle in Polonaisen durch die Gänge, tranken an der Seite der Senioren Tee oder Limo und plauderten mit Angehörigen. Foto:

Heusenstamm (m) - 100 Jahre wird man nicht alle Tage. Marie Juchacz ist zwar selbst nicht so alt geworden, im Horst-Schmidt-Haus wurde sie trotzdem gefeiert: Am 13. Dezember 1919 rief die Sozialdemokratin die Arbeiterwohlfahrt ins Leben. Daran erinnerten sie unlängst in der Einrichtung an der Herderstraße mit einem wunderschönen Fest, das den eigenen Stil und die besondere Atmosphäre des Hauses spiegelte.

Zum Beispiel im Werk der Sarah Harris: Die in London tätige und international gefragte Floristin schuf ein prachtvolles Bukett aus violetten Orchideen am Eingang. Die Mitarbeiter tanzten mit Bewohnern, schoben Rollstühle in Polonaisen durch die Gänge, tranken an der Seite der Senioren Tee oder Limo und plauderten mit Angehörigen.

Diese Zuwendung für Ältere und Hilfsbedrüftige hat sich Marie Juchacz sicherlich gewünscht, als sie mit Gleichgesinnten den „Hauptausschuss für Arbeiterwohlfahrt in der SPD“ gründete. Die Gruppe forderte soziale Rechtsansprüche ein. Der Massenverelendung begegnete sie mit praktischer Selbsthilfe, mit vielen Diensten und neuen Einrichtungen, informiert die Awo Hessen Süd. Zuerst öffneten Nähstuben, Mittagstische und Beratungsstellen, dann wurden Partei-Mitglieder für soziale Berufe ausgebildet. Zur Finanzierung der Angebote startete die Awo eine eigene Lotterie und verkaufte Arbeiter-Wohlfahrtsmarken.

1931 engagierten sich bereits 135.000 ehrenamtliche Helfer für Kindererholung und Kinderschutz, Altenbetreuung und Jugendhilfe, Notstandsküchen sowie Werkstätten für Behinderte und Arbeitslose. Die Awo wird in Deutschland zu einer wichtigen Anlaufstelle für mehr als 20 Millionen Menschen in Not, unabhängig von Herkunft und Konfession, hält die Chronik fest.

1933 versuchten die Nazis, die Organisation zu übernehmen. Die Aktiven entzogen sich diesem Plan, darum beschlagnahmte das Regime Vermögen und Gebäude, verfolgte führende Mitglieder. Die Arbeit wurde illegal fortgesetzt. Nach dem Krieg starteten in Hannover Neubeginn und Wiederaufbau. In den sowjetischen Besatzungsgebieten erhielt die Awo keine Zulassung.

Das änderte sich erst mit dem Fall der Mauer. In den fünf neuen Bundesländern bildeten Partnerschaften die Basis für neue Landes- und Bezirksverbände. Heute tragen die Awo rund 335.000 Mitglieder, etwa 212.000 ehren- und 66.000 hauptamtlichen Mitarbeiter. 110 der letzten Gruppe sind für 131 Bewohner im Horst-Schmidt-Haus tätig, das 1977 eröffnet und gerade um Tagespflegeplätze erweitert wurde.

Leiterin Roza Bering versicherte, dass ihr Team „in Solidarität und Engagement für ältere Menschen“ tätig sei. Der Bürgermeister erinnerte an Leid und Not nach dem Ersten Weltkrieg, zollte „Menschen wie Marie, die tolerant und für andere da sind“, großen Respekt. „Solche Leute brauchen wir auch heute.“

Er würdigte, dass in dem Haus „neben den Haupt- auch viele Ehrenamtliche auf den Grundsätzen von damals mitwirken, das Leben schöner zu gestalten. Öztas dankte im Namen der Stadt für die gute Zusammenarbeit. Die Awo sei auch für Sozialdemokraten eine besondere Institution, die den sozialen Gedanken aufrecht erhalte. Der Gast überreichte Leiterin Bering eine Rate-Box mit nostalgischen Redensarten, wie sie von den Senioren geschätzt werden.

Hucky Reinhardt und Conny vom Oldie-Club Offenbach interpretierten alte Schlager und Evergreens, Mitarbeiter der Küche standen am Grill, bereiteten Fingerfood, Bratwurst, Frikadellen, Eintopf, Kartoffel- und Gemüsesuppe. Aktive des Awo-Ortsverbands um ihren Vorsitzenden Carsten Müller backten Waffeln, die Cafeteria ergänzte die Auswahl mit dem letzten Glühwein der Saison und schenkte zum Finale einen Slibowitz nach alter Familientradition aus.

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