Männerchor Sonntagsverein Edelweiß Mühlheim Nach 153 Jahren erklingt der Schlussakkord

Ein Mühlheimer Chor hat sich im vergangenen Monat endgültig verabschiedet: Schriftführer Günter Heinze blickt nach dem Schlussakkord der Edelweiß-Sänger auf 54 Jahre Proben zurück. Foto: Mangold

Mühlheim (man) – „Nachruf des Männerchores Sonntagsverein Edelweiß 1864 Mühlheim am Main: Nach 153 Jahren, drei Kriegen (1870-1871; 1914- 1918 und 1939-1945) und rund 1.400 Singstunden wurde am Donnerstag, 6. Juli 2017 im engsten Familienkreis mit einem letzten Lied im Beisein des Dirigenten Stefan Hess der Gesang eingestellt. Im stillen Gedenken, Günter Heinze, Schriftführer.“ So lautete die Pressemitteilung, die Heinze vor ein paar Wochen versendete.

Der 81-Jährige erzählt vom finalen Treffen am 6. Juli. Während des Essens im Hildesheimer Hof sei es eher lustig zugegangen, wie nach der Beerdigung, wenn alle beim Leichenschmaus sitzen und die Anekdoten über den toten Opa die Runde machen. „Die letzte offizielle Probe hatten wir am 29. Juni“, sagt Heinze, der als ausgebildeter Herrenschneider bis 1956 in Kleinmachnow in der DDR arbeitete, als ihn das Gefühl beschlich, „die machen die Grenze bald dicht“. In seiner Heimatstadt Riesa hatte der 20-jährige Günter da schon Männerchorerfahrung gesammelt. Der Onkel hatte ihn geworben. Der Sound der Chorart ist ein ganz eigener. Irgendwie klingt es immer nach tiefem, dunklen Wald, nicht nur bei Klassikern der Literatur wie dem „Jägerchor“ aus dem Freischütz von Carl Maria von Weber oder Franz Schuberts „Nachtgesang im Walde“.

Die Zeiten ändern sich

Früher konnten es sich Männerchöre leisten, als geschlossene Gesellschaft aufzutreten. In Offenbach gab es einen Chor, in dem nur mitsingen durfte, wer den Meisterbrief eines Metzgers vorlegen konnte. Geselle zu sein, das reichte nicht. Mittlerweile wirkt diese Geschichte fast so historisch wie die Schellackplatte. Die Mitglieder des „Männerchores Sonntagsverein-Edelweiß“ müssen sich folglich keine Vorwürfe machen, nach 153 Jahren sich selbst die letzte Messe intoniert zu haben.

„Wir gaben schon zwei Jahrzehnte keine eigenen Konzerte mehr“, sagt Heinze, der Mann mit dem Schalk im Nacken, der keine Bitterkeit kennt. Zwischenmenschlich hatte sich der Gesang für den Sachsen schon einmal so richtig gelohnt, bevor er bei Edelweiß im zweiten Bass anfing. Nach seiner Flucht aus der DDR wohnte der junge Mann in einem nicht heizbaren Mansardenzimmer in Bieber, „direkt unter den Dachziegeln“. Gearbeitet hatte der Herrenschneider bei Kleider-Frei. Damals intonierte Heinze in Mühlheim Kirchenlieder. In der Friedensgemeinde an der Mozartstraße lernte er seine Frau Marianne kennen, mit der er längst goldene Hochzeit feierte.

Zum Männerchor in Mühlheim kam Günter, als er 1963 mit Marianne in Bieber Fastnacht feierte und auf Rudi Pieper traf. Der spätere langjährige Vorsitzende warb Heinze an. Ehefrauen dürften generell wenig am geschlechtsspezifischen musikalischen Engagement ihrer Gatten auszusetzen gehabt haben. Schließlich konnten sie so ziemlich sicher sein, dass sich ihr Kerl am Probenabend zwar über Ausgang freuen darf, aber dabei sauber bleibt.

Als Heinze eintrat, zählte der Chor, der bei Wettbewerben regelmäßig vordere Plätze belegte, 45 Mitglieder. Nach den Donnerstagproben ging es am Biertisch in der Linde weiter. „Das waren die Glanztage, als wir noch was vertragen haben“, lacht Heinze. Doch schon damals habe man das Ende des Genres geahnt. In Zeiten, als die Rolling Stones „Satisfaction“ sangen, wollte ein „Ännchen von Tharau“ bei jungen Männern nicht mehr recht zünden. Wie fast überall im Lande blieb der Nachwuchs aus.

Die letzten 20 Jahre probte der Chor dennoch, auch ohne Konzerte als Ziel vor den Ohren. Die eigene Freude reichte. Am Ende traf man sich mit dem Dirigenten Stefan Hess nur noch zu siebt, „unser Jungspund Holger Ganzwohl war 77 Jahre alt“. Wilhelm Moll (87) durfte sich dienstältester Edelweiß-Sänger nennen. Am ersten Donnerstag nach dem Schlussakkord des Männerchors habe ihn nach 54 Jahren Proben doch ein seltsames Gefühl beschlichen, sagt Günter Heinze. Fast hätte er sich zur Probe umgezogen.