Ein Rückblick auf 175 Jahre Vereinsgeschichte des Sängerkranzes Dietesheim „Die älteste Chorgemeinschaft“

Seit 1845 verwöhnen die Chöre des Sängerkranzes Dietesheim ihr Publikum mit stimmvollen Klängen. Foto: m

Mühlheim (m) – Das hatte kein Krieg, keine Flut und keine Währungsreform geschafft. Ausgerechnet zu seinem 175. Geburtstag ist dem Sängerkranz Dietesheim das Singen untersagt. Ein Grund mehr, in Erinnerungen zu schwelgen, die Geschichte der ältesten Chorgemeinschaft in der Mühlenstadt und eine der traditionsreichsten im Hessenland Revue passieren zu lassen. Die Gründung 1845 lag in einer Zeit, als es im gesamten Reich gerade 20 Chöre „auf volkstümlicher Basis“ gab, heißt es in der Chronik. Unter den Gründern finden sich bekannt Dietesheimer Namen wie Adam Hainz VI., Adam Kaiser, Nikolaus Lindenfeld, Adam Schwemmler, Alois Spahn und Peter Spahn. Kaspar Jung III. war lange Präsident, nach dem Krieg standen Johann Bieker, Jean Adam, Peter Müller, Jakob Bonifer und Edgar Dörflein an der Spitze. Von 1993 bis ins vergangene Jahr hieß der Vorsitzende Helmut Jung. Öfter als ihre Leitung wechselten die Sänger zeitweise ihren Probenraum. Bis 1871 waren sie in der Gaststätte „Zum Deutschen Haus“ daheim, bis 1920 im „grünen Baum“ und danach in der „frischen Quelle“. Als dort ein Kino lief, probten die Sänger im „Börnchen“ und in der „Sport- und Sängerklause“, die Kulturhalle, die auch zuletzt ihre Heimat war. Dazwischen waren sie in der „Krone“ und ab 1938 im „Schwanen“ zu Hause, Gasthäuser, die es längst nicht mehr gibt.

Große Treue bewiesen die Chorleiter. Den Taktstock schwangen meist Lehrer, „die sich damals weit mehr als heute auch außerhalb ihrer Schulstube mit kulturellen Dingen beschäftigten und sich Vereinen zur Verfügung stellten“, würdigt die Vereinsgeschichte. Ehren-Chormeister Hermann Gesser aus Steinheim führte die Männer von 1934 bis ‘80, also stolze 46 Jahre. Ihm folgte der Musikpädagoge Gerhard Jenemann aus Alzenau-Michelbach. Ab ‘84 dirigierte Musikdirektor Manfred Küchler aus Rodgau-Dudenhofen. Unter seiner Ägide gelang dem Frauenchor 2001 ein Neustart.

Schon 1937 rief der Vorstand einen Knabenchor ins Leben, der 1980 in einen Kinder- und Jugendchor umgewandelt wurde. Damit pflegt der Jubelverein die längste Nachwuchsarbeit. Hubert Reuter, Dr. Johannes Großhard, Jürgen Bischoff und Karl-Heinz Kern leiteten die Schüler. 1993 übernahm Stefanie Sattler den Kinderchor, der bald mangels Stimmen aufgelöst werden musste. Bis heute führt sie „The Females“.

Ein Blick 100 Jahre zurück. Durch den Ersten Weltkrieg war der Chor so klein geworden, dass man spöttisch vom „Sängerkränzche’“ sprach. Dass der Wiederaufbau des Klangkörpers und der gesamten Vereinsarbeit von Erfolg gekrönt war, dokumentieren die vielen Preise, die der Sängerkranz von Gesangswettbewerben in den 20er und 30er Jahren mit nach Hause brachte. Nach dem Zweiten Weltkrieg „mussten die Jüngeren erst wieder mit der demokratischen Form des Vereinslebens vertraut gemacht werden“, hält die Chronik fest. Im „1000-jährigen Reich“ hatten sie nur Zwangsgemeinschaften kennengelernt. Der Sängerkranz erhielt die Zelterplakette des Bundespräsidenten und die Silberne Plakette des hessischen Ministerpräsidenten. Zu den besonderen Ereignissen zählen die Konzerte der Jugendabteilung. Unterstützt von jungen Sängern des Männerchors trat sie mit den weltberühmten „Regensburger Domspatzen“ in der Stadthalle Hanau und im Bürgerhaus Mühlheim auf. Auch der Männerchor erhob seine Stimmen vor der Eröffnung der Willy-Brandt-Halle in der Brüder-Grimm-Stadt. Aus seinen Reihen entsprangen die „Weinlerchen“, sie sich unter Leitung von Peter Hildebrand der heiteren Literatur widmeten. Die Chöre pflegten einen Austausch mit Gleichgesinnten in der französischen Partnerstadt St. Priest, sangen in Italien, Holland, Ungarn, England, Jugoslawien und Österreich. Viele Besucher schwärmen noch vom rauschenden Jubiläum des Sängerkranz’ mit Festzelt und -zug, Discoparty und dem Volksmusik-Paar Marianne und Michael 1995. Und von dem weit über die Mühlenstadt hinaus bekannten Mittwochsrummel in der Fastnacht. Bis Corona standen Kappenabende, Sommerfeste, Ausflüge, Fischessen und Konzerte auf dem Programm der vier Formationen. Erfolgversprechend starteten fast 140 Aktive in Männer- und Frauenchor sowie „Females“ mit einer neuen Doppelspitze aus Leonhard Alig und Till Schmid sowie mit dem jungen Dirigent Max Nickel in eine neue Chorkultur. Dem Projekt „Zukunftsmusik“ haben sich im August 2019 spontan 40 Interessierte angeschlossen. „Weltoffenheit ist ein gutes Stichwort“, sagt Presssprecherin Nicole Bieker. „Wir können uns gut vorstellen, mit Menschen anderer Nationalitäten zu singen, viele Altersklassen zusammenzubringen.“ Sollte das Singen wieder erlaubt werden.