Fremd ist der Fremde nur in der Fremde Ausstellung zu Ankunft, Vielfalt, Bereicherung eröffnet

Die unterschiedlichsten Biografien stellen sich in der Ausstellung vor, vom Studenten, der hierzulande aufwuchs, bis zum Gastarbeiterkind, das im Schnee am Frankfurter Bahnhof einst ankam. Foto: Mangold

Mühlheim (man) – In einem Sketsch von Karl Valentin heißt es, ein Fremder sei nicht immer ein Fremder. Denn: „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.“ Davon, wie es sich anfühlt, fremd zu sein oder für fremd gehalten zu werden, gibt die „Ausstellung zur Migrationsgeschichte der Stadt Mühlheim. Ankunft – Vielfalt – Bereicherung“ einen Eindruck. Die eröffnete der Ausländerbeiratsvorsitzende Hüsamettin Eryilmaz im Rathaus.

Zuweilen kann sich auch der Einheimische fremd fühlen, das Gefühl kennt auch Candas Filiz. Der Politikstudent übernahm für die Ausstellung eine Doppelrolle. Einerseits schrieb Filiz zusammen mit Percy Herrmann aus den Interviews mit 19 Mülheimern die Texte für die Schautafeln zusammen. Andererseits gehört Filiz selbst zu jenen, um die es geht. Nicht selten bekomme er das Kompliment, „du sprichst super Deutsch“. Ohne großen Enthusiasmus habe er sich als Türke gefühlt, „einfach aufgrund dessen, dass mich viele so bezeichnet haben“. In der Türkei klang das ganz anders. Dort bekam er zu hören, „ich sei kein richtiger Türke“. Sein Weg aus der Identitätsbredouille erinnert an den existenzialistischen Ansatz, der Mensch sei nichts als sein Entwurf: „Ich muss selbst bestimmen, wer ich bin.“

Die Unternehmerin Canal Ünal zog vor 20 Jahren von Istanbul nach Lämmerspiel. „Du bist keine richtige Türkin, du kommst vielleicht aus einer Adelsfamilie“, tippten manche Deutsche, „du hast ja gar kein Kopftuch“. Dass es sich erst recht in der Türkei in der Metropole ganz anders lebt als im ländlichen Milieu, wissen nicht alle Deutschen. Haydar Dogan (48) erinnert sich an eine typische Gastarbeiterkindheit, „unser Leben sollte hier vorübergehend sein“. Das hieß, als Kind besuchte Haydar eine rein türkische Grundschulklasse. In der fünften Klasse saß der spätere Ingenieur erstmals in der deutschen Klasse und verstand kein Wort: „Deutsch habe ich auf der Straße gelernt.“ Von einem Schock berichtet Giovanni Micciché, der als Elfjähriger am 28. März 1964 am Frankfurter Hauptbahnhof ankam. An dem Tag lag Schnee. Am liebsten wäre Giovanni wieder in die sizilianische Heimat gefahren, „in die Wärme, zu den Freunden“. In Deutschland lernte der spätere KFZ-Meister die Grausamkeit der Kinder kennen: „Ich war der ,Spaghettifresser’.“

Die Idee zur Ausstellung hatte Dr. Michael Schulte. Der Politikwissenschaftler verbrachte 40 Jahre im Auftrag verschiedener Entwicklungsdienste als Berater in Ländern wie Bolivien, Mexiko und Ecuador.

Der 69-Jährige erklärt, als er 2015 zurück nach Deutschland kam, habe er im Geist von Pegida und AfD den nationalistischen Irrsinn des 20. Jahrhundert erkannt, „für den heißt es ,jeder gegen jeden’“.

Bürgermeister und Schirmherr Daniel Tybussek spricht von den 20 Prozent Mühlheimern ohne deutschen Pass und den 40 Prozent mit Migrationshintergrund, „wir haben ein friedliches Zusammenleben, was nicht selbstverständlich ist“.Hüsamettin Eryilmaz, der Produzent des Projekts, fordert bei der Gelegenheit die Gäste auf, viele Veranstaltungen der Interkulturellen Wochen zu besuchen.

Narrative Melodien auf den Langhalslauten spielt das Saz-Quartett aus Selin Beyazit, Elis Zengin, Sinan Zengin und Irem Dogan.

Für die Fotos der Ausstellung sorgte Mehdi Fatolahi. Der Fotograf musste aus seiner iranischen Heimat fliehen. Er setzte für die Ausstellung mit dem Ehepaar Hasina und Fawad Afzal auch zwei Flüchtlinge aus Afghanistan in Szene. Hasina erzählt, wie sie vor Angst, versehentlich schwarz zu fahren, für die Fahrt mit ihren Kindern nach Bieber jeweils drei Gruppenkarten kaufte. Die Ausstellung ist noch bis zum 13. September im Foyer des Rathauses zu sehen.