Sprecherinnen der MS-Selbsthilfegruppe Mainsterne berichten über ihr Leben nach der Diagnose „Fast immer beginnen auch üble Krankheiten harmlos“

Für Linda Nakew (links) und Regina Stadtler kam es besser, als sie es nach der Diagnose MS befürchtet hatten. Foto: man

Mühlheim (man) – Der Verlauf von „Multiple Sklerose“ gestaltet sich von Mensch und Mensch ganz unterschiedlich. Die beiden Sprecherinnen der MS-Selbsthilfegruppe Mainsterne erzählen, wie ihr Leben verlief, nachdem sie um ihre Krankheit wussten. Die ersten schlimmen Befürchtungen und Prognosen erfüllten sich nicht.

Fast immer beginnen auch üble Krankheiten harmlos, mit Symptomen, die ansonsten nach kurzer Zeit wieder verschwinden. Linda Nakew dachte vor 21 Jahren erst an nichts Schlimmes, an etwas wie einen eingeklemmten Nerv oder die simple Folge von Überlastung. Die passionierte Handballerin befand sich mit ihrer Mannschaft von der Sportunion gerade im Trainingslager, als sich ihre linke Wurfhand plötzlich taub anfühlte. Der Physiotherapeut meinte aber, „da stimmt was nicht“. Zumal sich das Gefühl schließlich auf die ganze linke Körperhälfte erstreckte. Der anschließend konsultierte Neurologe fand es erst mal ratsam, in ihrer Gegenwart laut zu spekulieren, „es könnte ein Hirntumor sein“. Nach einer Lumbalpunktion und der Analyse der Nervenwasserprobe stand fest: multiple Sklerose.

„Ich hörte MS und dachte Tod und Rollstuhl“, erinnert sich die 62-Jährige. Auch über zwei Jahrzehnte nach der Diagnose ist die gebürtige Amerikanerin noch in der Lage, so durch ihre Wohnung zu laufen, ohne dass ein Fremder ihr Handikap gleich merkt.

MS ist keine Erbkrankheit. Allerdings belegen Studien eine genetische Disposition. Für den Einzelnen muss das nichts heißen. Bei einem Treffen von über 100 Verwandten im US-Bundessaat Minnesota fragte Nakew herum, „niemand wusste etwas von MS in der Familie“.

Als es anfing, arbeitete Nakew im Mühlheimer Wirtshaus an der Friedensstraße, das ihr damaliger Mann gepachtet hatte. Irgendwann ging das nicht mehr. Nakew ließ etwa ein Tablett mit den Gläsern fallen, ohne angestoßen zu sein.

Das Nervensystem ähnelt dem Stromfluss durch isolierte Kabel. In der Physiologie nennt sich die Isolierschicht „Myelin“. Bei der MS greift die eigene Abwehr das Myelin an. „Die Befehle des Gehirns lassen sich nicht mehr fehlerfrei weiterleiten“, erklärt Nakew, die bis zur Frührente in ihren alten Beruf als Bankkauffrau zurückkehrte. Handball spielte die Frau noch ein paar Jahre, „nicht mehr auf dem alten Niveau und nur noch für je zehn Minuten“. Schluss war, als Nakew einmal ohne Zweikampf umfiel.

„MS gilt als Krankheit mit den tausend Gesichtern“, sagt Regina Stadtler. Bei einem Mitglied der Gruppe wirke sich die Autoimmunkrankheit auf die Augen aus, nicht auf die Beine. Es gebe auch Fälle, dass jemand MS habe, ohne je davon erfahren zu haben, „das stellt sich dann bei einer Gehirnautopsie heraus“.

Mit einer Sehschwäche begann es 1990 bei der heute der 59-Jährigen. Die Entzündung ließ sich mit Kortison beheben. Von der MS-Diagnose merkte Stadtler dann erst mal drei Jahre nichts mehr, bis sie morgens einmal nicht mehr aus dem Bett steigen konnte. Wieder half Kortison. Damals bekam die ehemalige Chefsekretärin eines Automobilkonzerns erklärt, sie müsse sich auf ein Leben im Rollstuhl einstellen. Bis heute reicht der Rollator.

Es fühlt sich auch für jeden gesunden Menschen wie ein Niederschlag an, wenn der Partner einen verlässt, weil jemand neues parat steht. Die ersten zwanzig Jahre sei sie mit der Krankheit gut zurechtgekommen, erzählt die Mutter einer erwachsenen Tochter. Dann ging es Stadtler so wie der Hälfte aller Verheirateten: Die Ehe endete. Fünf Jahre habe sie gebraucht, um sich wieder zu fangen, „für meine Krankheit war das ein Desaster“.

Für die sportliche Linda Nakew, Mutter zweier Kinder, gilt bis heute, „Aufgeben ist keine Option“. Sie nennt die MS „meinen geliebten Feind“. Der Verlauf habe sie Gelassenheit gelehrt. Sie rege sich nicht mehr auf, „schlimmer geht immer“. Ähnlich drückt sich Regina Stadtler aus, „lieber MS als manch andere Krankheit“.

Interessenten sind bei den Mainsternen immer willkommen, die sich jeweils am letzten Mittwoch eines jeden Monats um 18.30 Uhr in der Gaststätte Endstation an der Anton-Dey-Straße 62 treffen. Kontakt: Regina Stadtler Z  06104 74461.